Es wurde in dieser Arbeit schon auf die Informationstheorie aufmerksam gemacht (vgl.
S. 3), nach welcher die Abweichungen zur eigenen Norm den Stil eines Komponisten
oder eines Stückes ausmachen. Wenn man vom mathematischen Hintergrund dieser
Informationstheorie absieht, ist ihr Konzept gar nicht viel anders als das der
parametrischen Analyse. Beide versuchen, den Stil zu definieren, indem das
Gleichgewicht zwischen redundanten und einzigartigen bzw. seltenen Elementen
analysiert wird. Dementsprechend wäre es denkbar, analytische Module zu entwerfen,
welche einige Aspekte der parametrischen Analyse implementieren würden. Der
mathematische Hintergrund dieser Module könnte sich in vielen Fällen an der
Informationstheorie ein Beispiel nehmen.
Einige Elemente ließen sich relativ einfach implementieren. So könnten beispielsweise Statistiken über verschiedene Aspekte der Register errechnet und jedes Mal in ein Gewicht verwandelt werden:
Die anderen Parameter des Sounds ließen sich ebenfalls auf relativ einfache Weise statistisch implementieren. Selten auftretende Anweisungen zur Artikulation oder zur lokalen Dynamikveränderung, dynamische oder texturbezogene Frakturen könnten nach Häufigkeit analysiert werden. Einige von Sundbergs empirisch herausgefundene Regeln könnten auch eingebaut werden, wie die zum Ambitus proportionale Verzögerung von melodischen Sprüngen, oder das Leiserspielen von kurzen Noten. Schon mit diesen Parametern wäre eine gute Basis für die Interpretation geschaffen. Für das Einbeziehen von Rhythmik, Harmonik und Melodik müsste jedoch eine neue theoretische Grundlage definiert werden. Jegliche Methode, um musikalisch sinnvolle Interpretationen zu synthetisieren, sollte sich auf jeden Fall von der naiven Versuchung fernhalten, eine ultimative Interpretation zu erschaffen, da Musik gerade darin ihre Qualität findet, verschiedene Deutungen nicht nur zu ermöglichen, sondern zu fördern. Wie Mazzola es ausdrückt: »Maybe, musicology should be seen as the most elaborate theory of poetical ambiguity« (Mazzola [1993a], S. 9). Zukünftige Versuche in Interpretationssynthese sollten folglich unbedingt Rubatos Flexibilität behalten, um die Vieldeutigkeit der Musik zu respektieren. Die Forschung über automatisierte Interpretationssynthese sollte sich nun vorerst darauf konzentrieren, das Niveau eines normative default mode of performance zu erreichen, dem einer persönlichkeitslosen, aber dennoch im Vergleich zum mechanischen Abspielen verständlicheren klanglichen Realisierung eines Notentextes. Das Verstehen aller Implikationen und Mechanismen einer solchen ›Basisgrammatik der Interpretation‹ wird aber wohl noch mehrere Jahre, gar Jahrzehnte in Anspruch nehmen.
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