- 29 -Heise, Walter: die Bringer Beethovens 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (28)Nächste Seite (30) Letzte Seite (36)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Eggebrecht verweist alle nicht-konstanten Elemente in einen Bereich, den er als "Hülle" bezeichnet. Wie fragwürdig ein solches Verfahren ist, soll hier nur durch die Stichworte 'Geschichtlichkeit' und 'Vergleich' angedeutet werden: Für Eggebrecht ist die 'ästhetische Identifikation' - obwohl stets an geschichtliche Gebilde, Situationen und Personen geknüpft -
...selbst kein geschichtlich bedingter Prozeß, sondern so immer wieder ein und dieselbe, wie ja die binnenmusikalischen Definitionsprozesse, die den Sinn zu verstehen geben, immer die gleichen bleiben. Und auch der Hörer gerät -obwohl geschichtlich determiniert- kraft der ästhetischen Identifikation jenseits seiner Geschichtlichkeit, insoweit sein aktuelles Ich (das Hören als sein augenblickliches sinnliches Bewußtsein) durch die Aktualität der Definitionsvorgänge okkupiert wird, deren Mitvollzug ihm den musikalischen Sinn zu verstehen geben. Das ästhetische Verstehen steht so jenseits von Geschichte und von Vergleichen überhaupt, wie es dem ästhetischen Gebilde selbst wesensfremd ist, Geschichte mitzuteilen und ein Vergleichen zu bewirken. Zum Wesen der ästhetischen Identifikation gehört das Ausschließende ihrer Aktualität, in dem die Konstanz des Verstehens beheimatet ist. [26]
Eggebrecht, der seine Theorie erstmals anläßlich des Internationalen Beethoven- Kongresses Berlin (DDR) 1977 vortrug, löste damit nicht nur bei marxistischen Musikwissenschaftlern lebhaften Widerspruch aus.

4.

Die Verständnisschwierigkeiten, die im Zusammenhang mit Reiner Kunzes Gedicht sichtbar wurden, sind auch das Ergebnis eines weitverbreiteten (kultur-)politischen Desinteresses. So verfolgt den Verfasser -in seinem Arbeitsbereich- seit langem die Vorstellung, ein bundesrepublikanischer Musikliebhaber könne auf einen musikinteressierten DDR-Bürger stoßen und dabei feststellen, daß eine Verständigung über Musik nicht mehr möglich ist, weil sich sowohl das verwendete Begriffsrepertoire als auch grundlegende Formen musikalischen Denkens zu weit voneinander entfernt haben.
Das schulische Lehrplanwerk der DDR weist sehr präzise aus, was über Musik zu denken ist -einschließlich der dabei verwendeten Begriffe. Die Auseinandersetzung mit "bürgerlichen" Musikvorstellungen dient zwar der Bestätigung eigener Anschauungen, ist aber -wenn auch noch so verkürzt- eingeplant. Die Forderung, das "sozialistische Musikverständnis" wenigstens in den Kreis möglicher Unterrichtsthemen aufzunehmen, wäre von hierher zu begründen. Hinzu kommt allerdings die Tatsache, daß westdeutsche Musikpublikationen aller Art inzwischen eine Fülle "marxistischer" Argumentationsschemata enthalten.

__________
[26] a.a.O. S.262


Erste Seite (1) Vorherige Seite (28)Nächste Seite (30) Letzte Seite (36)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 29 -Heise, Walter: die Bringer Beethovens