- 87 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (86)Nächste Seite (88) Letzte Seite (410)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

und siebter Strophe (Takt 109). Während bis hierher das Motiv in der Regel im Sforzato oder Fortissimo auftritt, wandelt es sich im Vorspiel zur achten Strophe ins dreifache Piano, auch werden die Triller herausgenommen (Takt 135 und 137) und das Motiv verkürzt (Takt 150). Ein letztes Mal erscheint es vollständig zum Text »Des Morgens stehen da die Gebeine« (Takt 153–156). Insgesamt erweist sich die Interpretation dieses Motivs als dämonisches Hohngelächter an allen Stellen als sinnvoll, vielfach ausgesprochen sinnfällig und niemals sinnstörend. Deshalb ist es sicher mehr als nur Milieuklang, nämlich ein bewußt sinntragendes Element.

Das längere Zwischenspiel zwischen dritter und vierter Strophe (Takt 48–57) gestaltet sich zunächst aus dem – hier unverfremdeten – Marschmodell, das schon in den ersten beiden Strophen in Streichern und Trompeten erklungen war. Hinzu tritt ein punktiertes auftaktiges Motiv in den Holzbläsern (punktierte Achtel, Sechzehntel und Schlag auf der Eins), mit dem die Singstimme bisher das »Trallali« vorgetragen hatte. Den Marschfloskeln zuwider steht das harmonische Beharren: auf jeder eins erklingt ein terzloser G-Klang, ab Takt 52 G-Dur, jeweils mit dominantischem Auftakt. Das Zwischenspiel bringt das Weitermarschieren des Kameraden »bis in Tod« zum Ausdruck, das einerseits als unhinterfragt (»Trallali«-Motivik), andererseits als unausweichlich (harmonisches Beharren) erscheint.

Die Strophen fünf bis sieben sind insgesamt von einer realistischen Illustration der Situation geprägt. Das Marschmodell in den Trompeten findet Verwendung ebenso wie das auftaktig punktierte »Trallali«-Motiv in den Streichern. Hinzu tritt das Hohngelächter in den Holzbläsern. Im Zwischenspiel zwischen fünfter und sechster Strophe stellt sich das Orchester immer mehr in den Dienst des Trommlers: Die kleine Trommel beteiligt sich verstärkt, und die Streicher und Fagotte imitieren Trommelwirbel. Hinzu treten Fanfaren in den anderen Bläsern. Diese Elemente bleiben vorherrschend, bis der Trommler mit dem »geschrieen« vorzutragenden »Trallali« in Takt 127 sein Ziel erreicht hat, das durch das »grell schreiend« zu spielende Oboenmotiv in Takt 137 bestätigt wird. Aus dem »Trallali«-Motiv und dem Hohngelächter gestaltet sich auch die Überleitung zum Vorspiel der achten Strophe (Takt 128–139).

Die col-legno-Anweisung für die Violinen imitieren natürlich die klappernden Gebeine und die damit verbundene Stimmung. Insofern macht Mahler hier nichts anderes als was er kritisierte: daß es klingelt wenn ein Vogel vorkommt. Aber das ist nur eine Äußerlichkeit in der Gestaltung der Schlußstrophe. Der Anfang des Vorspiels läßt eine getreue Wiederholung des Liedanfangs erwarten. Diese Erwartung wird getäuscht, indem der Baß in Takt 142 nicht zum B weiterschreitet, sondern zum D zurückkehrt. Ein Baßmotiv wird in den Folgetakten verarbeitet (Takt 143ff.), bevor das Anfangsmotiv wieder erreicht ist. Auf diese unscheinbare Episode, die gespannte Erwartung erzeugt, tritt nun das völlig Befremdliche ein: die gänzlich falsche Harmonisierung der Singstimme, die weit über das in der ersten und zweiten Strophe geleistete hinausreicht. Zum absteigenden verkürzten A-Dur Akkord in der Singstimme (Takt 154) tritt in den Instrumenten ein verminderter Septakkord d-f-as-h, der dominantisch zu A-Dur steht. Von der Tonika d-Moll aus erscheint hier also gleichzeitig die Dominante und die Doppeldominante. Zwei Takte weiter erklingt zum gleichen verkürzten A-Dur-Septakkord B-Dur in den Instrumenten. Im Folgetakt wird die Singstimme, die sich nach g-Moll wendet, mit Es-Dur harmonisiert.


Erste Seite (i) Vorherige Seite (86)Nächste Seite (88) Letzte Seite (410)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 87 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang