- 86 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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sich der Marschcharakter fortsetzt. Die Singstimme der dritten und vierten Strophe ist merklich gesanglicher gestaltet als vorher; volksliedhafter Durcharakter bestimmt ihre Faktur, die, unterstützt durch die Anweisung »mit Ausdruck« am Beginn beider Strophen, sich liedhaft und einfach zeigt. Die colla-parte Begleitung der ersten Violinen mit der Anweisung »singend«, in der vierten Strophe noch durch Terz-Sext-Parallelisierung in den zweiten Violinen gesteigert, tut ihr übriges. Der Leidcharakter wird durch das gegenüber den vorangehenden Passagen variierte »Trallali« unterstrichen, das nun halbtönig aufwärts geführt wird. Das Unkritisch-Positive ist von Wehmut überzogen. Die Verfremdungen der ersten beiden Strophen sind verschwunden, so daß hier die ehrliche Stimme des einfachen Soldaten vorherrscht. Bei »Helf dir der liebe Gott«, besonders am Schluß (f-f-es-d, Takt 39f.) erscheint eine ganz und gar floskelhafte Wendung, die aus etlichen Märschen bekannt ist.55
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Noch das Horst-Wessel-Lied beginnt mit dieser Floskel.
Verbunden mit diesem Text bringt sie das phrasenhafte solcher Redewendungen hervor. Als Begleitung hierzu tritt nun in den Flöten und Klarinetten erstmals eine zweiteilige Figur auf, die im weiteren Verlauf mehrfach verwendet wird. Beim ersten Teil handelt es sich um einen fanfarenhaften Dreiklangsaufstieg über fünf Töne; der zweite Teil besteht aus einem Motiv von einer Achtel mit Triller und zwei Sechzehnteln, das abwärts geführt mehrfach wiederholt wird. Der Endton des ersten Teils und der Anfangston des zweiten überlagern sich. Es steht in Frage, ob Mahler dieses Motiv ganz bewußt zu bestimmten Textstellen hinzugesetzt hat, um damit eine inhaltliche Aussage zu treffen im Sinne eines Leitmotivs, oder ob es sich um einen »Milieuklang« handelt, der nicht spezifisch textausdeutend ist, wie es Mirjam Schadendorf für die »Orgelzeile« in Das himmlische Leben postuliert56
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Mirjam Schadendorf, Humor als Formkonzept in der Musik Gustav Mahlers, Stuttgart-Weimar 1995, S. 167f.
. Von der Faktur her könnte sich das Motiv verstehen lassen als die Zusammensetzung einer Fanfare mit einem Trommelwirbel. Allerdings spricht die Instrumentation – in der Regel Flöten und Klarinetten – gegen eine Fanfare, und für die Trommelwirbel des Tambours wird schon die kleine Trommel selbst herangezogen. Vom Höreindruck her erscheint es wie ein dämonisches Hohngelächter. Das erstmalige Auftreten dieses Motivs kann diese Auffassung stützen: ein dämonisches Hohngelächter bei »Helf dir der liebe Gott« besagt, daß dieser dem gefallen Soldaten mitnichten hilft; eine ähnliche Aussage beinhaltet auch Der Schildwache Nachtlied. Am deutlichsten, nämlich colla parte mit der Singstimme, tritt dieses Motiv zu den Worten »sie liegen wie gemäht« (Takt 88f.) und »daß sie ihn sehen kann« (Takt 162f) auf. Auch das rechtfertigt die Auffassung eines Hohngelächters. Des weiteren erscheint das Motiv ohne Fanfare bei »rühren« (Takt 79), was wiederum die Auffassung eines Trommelwirbels stützt, aber auch hier ist ein Hohngelächter denkbar. Mehrfach erscheint das Motiv in den »Trallali«-Versen (Takt 83–85, 124), was Sinn macht, denn diese Verse geben, wie oben angesprochen, das Unkritisch-Positive der Militärsphäre wieder. Wer wollte da nicht höhnisch lachen? Vielfach erscheint das Motiv in Zwischenspielen, so vor der fünften Strophe (Takt 73–76), in der sich der Tambour aufrafft, dann abgewandelt mit ausgehaltenem Triller vor der sechsten Strophe (Takt 96), darauf folgend beim Text »er wecket seine stillen Brüder« (Takt 98 und 100), sodann als Zwischentakt zwischen sechster

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