- 63 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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Friedrich Brandes zu den drei Sätzen der Zweiten Symphonie nicht auf Mahlers Vorstellungen trifft.

Wenn er auf »thematische Zusammenhänge« in seiner Musik hinweist, dann geschieht das aus Gründen des ideellen Zusammenhangs, wie in einem Brief an Georg Göhler vom 8. Februar 1911 in dem er dessen – insgesamt positiv bewertete – Ausführungen zur Vierten Symphonie kommentiert: »Eins vermisse ich: haben Sie die thematischen Zusammenhänge, die auch für die Idee des Werkes so überaus wichtig sind, übersehen? Oder glaubten Sie bloß, das Publikum mit technischen Erklärungen verschonen zu sollen? In jedem Fall bitte ich gerade dies in meinem Werke aufzusuchen. Jeder der 3 ersten Sätze hängt aufs innigste und bedeutungsvollste mit dem letzten zusammen.«25

25
Mahler, Briefe, S. 403.

Überblickt man die gesamten Briefe Mahlers, so lassen sich darin Begriffe wie Sonatenhauptsatz, Exposition und Durchführung oder ähnliche analytische Termini kaum finden. Sie scheinen für ihn keine relevanten Begrifflichkeiten gewesen zu sein, wenn er über seine Musik schrieb. Selbstverständlich hat er sie gekannt: In den Skizzen zur Zweiten Symphonie tragen bestimmte Abschnitte die Bezeichnung »Schlußsatz« und »Durchführung«26

26
Vgl. Rudolf Stephan, Gustav Mahler. II. Symphonie C-Moll, München 1979, S. 39.
. In einem Brief an Alma vom 26. Juni 1904 schreibt er über Brahms: »Womit es aber da am meisten hapert, darüber wirst Du staunen, wenn ich Dir es sage – das sind seine ›sogenannten Durchführungen.‹ Mit seinen oft schönen Themen weiß er in den seltensten Fällen etwas anzufangen. Das haben überhaupt nur Beethoven und Wagner gekonnt!«27
27
Mahler, Briefe an Alma, S. 203.
Und in einem Brief an Max Kalbeck, wahrscheinlich vom Dezember 1907, benutzt er den Begriff »Durchführung« parabolisch für die Vertiefung der Freundschaft mit ihm, zu der es nicht gekommen ist.28
28
Mahler, Briefe, S. 322.

Bruno Walter teilt in einem Brief vom 6. Dezember 1901 an Ludwig Schiedermair folgende Äußerung Mahlers mit: »Mahler perhorresziert aufs energischste jedes Programm; muß man denn wirklich, so fragt er, ein Programm haben, um einen Satz mit erstem Thema, zweitem Thema, Durchführung und Reprise zu verstehen? Oder ein Scherzo mit Trio? Oder ein Andante mit Variationen?«29

29
Bruno Walter, Briefe 1894–1962, Frankfurt 1969, S. 48.

Diese Begriffe könnten Mahler von Bruno Walter in den Mund gelegt worden sein, denn seine Absicht gerade in jenem Brief war es, Mahler als Absolut-Musiker hinzustellen und ihn gegen jegliche programmatische Ausrichtung abzugrenzen. Auch in den Erinnerungen anderer Zeitgenossen finden sich Stellen, an denen Mahler mit diesen Begriffen umgegangen ist, so bei Natalie Bauer-Lechner und Ernst Decsey. Bei Bauer-Lechner beklagt sich Mahler über die unzulänglichen Durchführungen


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