- 352 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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der Hammer im Schlußsatze nieder, der, dreißig Minuten dauernd, die tragischen Absichten des Komponisten am deutlichsten und unerbittlichsten dartut. [. . . ] In keiner anderen Sinfonie ist Mahler, dieser Meister in der Behandlung des Orchesters, so wenig auf die Verteilung von Licht und Schatten bedacht gewesen wie in dieser von ihm selbst als die »tragische« bezeichneten A-Moll-Sinfonie, deren Tragödie er in den stärksten Farben inszeniert hat. Die düster-pathetischen Themen, oft anklingend oder anspielend, zeigen kein eigentlich neues Gesicht, nehmen gleichsam nur die Mahlersche Mimik an. In den Durchführungskämpfen, bei denen in Umgestaltung, Ausdeutung, Variierung der Themen alles an die Hypertrophie der Muskulatur gesetzt wird, gibt es keinen Sieger, nur Besiegte. [. . . ] und bald erscheint jener, durch die ganze Sinfonie gehende schmetternde Durdreiklang mit sogleich, wie vernichtet, nach Moll gewendeter Terz, der als Symbol des in seinem Kampfe gegen das Starre, Stumpfe, Niederzwingende dem Pessimismus verfallenden Helden der Sinfonie anzusehen ist. [. . . ] Mit Celesta und Herdenglocken führt uns Mahler wirklich auf Bergeshöhen und reinste Gefilde, daneben freilich gähnen Abgründe und Höllenschlünde. [K27/B]
Zumal in der sogenannten »tragischen« Sinfonie hat er sich zu einer Größe emporgereckt, daß das Menschlich-Zeitliche seines Wesens mit seinen gewaltigen Widersprüchen zurücktritt gegenüber den geistigen Mächten, mit deren Darstellung er ringt. Hierbei verbirgt er mehr als sonst sein eignes und doppeltes Gesicht als Musiker und künstlerischer Gestalter in philosophischem Geist [. . . ] In dieser Sinfonie triumphiert das Schicksal, das eherne im antiken Sinne, über den Menschen, dessen innerer Wert aber sich im Kampf mit ihm uns enthüllt; nur die Anschauung dieser Naturmacht bleibt modern, romantisch und darum doch subjektiv. Statt der feierlichen Anbetung Bruckners bei Mahler ein inbrünstiges Suchen nach letzter Erkenntnis der Weltgeheimnisse, ein Ringen mit göttlicher Macht, ein faustischer Drang. [. . . ] hier übertönt ihn einmal die Gewalt der von ihm beschworenen Stimmen. [K27/C]

in der monumentalen Wucht dieser Schöpfung, in ihren eigenwilligen Stilkreuzungen und expolsiven Steigerungen [. . . ] die Innigkeit der langsamen Teile [W30a/A]

diese kolossale Symphonie [W30a/B]

Selbst wer nicht zu den unbedingten Verehrern Mahlerscher Kunst gehört, wird von der Last des ungeheuren Pessimismus gepackt, von der Tragik der kaum noch erträglichen inneren Zerrissenheit, die in dem [. . . ] sinfonischen Gebilde um Ausdruck ringt. [D30/A]

denn dies anspruchsvolle, kolossalische [. . . ] Werk duldet am gleichen Abend nichts anderes neben sich. [. . . ] So erstand in imponierender Form der gigantische sinfonische Bau dieses in seiner Problematik und Geistigkeit typischen Mahlerschen Werkes, in dem Weltflucht und feierliche Mystik, Pessimismus und Lebensbejahung, tragische und romantische Ironie, Religiosität und Glaubenszweifel, tiefe Naturverbundenheit und pantheistische Stimmungen, Banales und künstlerisch Verfeinertes in wundersamen Kontrasten beieinander stehen. [D30/B]

Eine wahrhaft tragische Sinfonie. Tragisch schon durch das Los des Komponisten, der ein genialischer ausübender Musiker war, doch dessen grandiose Pläne daran scheitern mußten, daß er eben doch kein Genie war. [. . . ] die theatralischen Wirkungen dieser Mammut-Sinfonie [D30/C]

Das »Tragische für die Sechste mag bestehen bleiben. [. . . ] Die »Sechste« ist konziser, überzeugender [als die Siebente«], obwohl auch sie, wiederholt spukhaft grimassierend, in ihrem häufigen Wechselspiel mit der kleinen Sekunde harmonische Unruhe erzeugt, die sich immer weiter ausbreitet und Mahlers seelische Verfassung zur Zeit der Konzeption der »Sechsten«, das sich vollkommen Einsamfühlen, quälend deutlich erkennen läßt. Prometheusklage und Pyrrhussieg. Der dreimal niedersausende Hammer vernichtet alles – die letzte Hoffnung und das Sein selbst. [W30b/A]

Das an der Hand der musikalischen Disziplinen Erklärbares [sic] ist durchgearbeitet: im Formalen, Harmonischen und Satztechnischen liegen nicht mehr Geheimnisse. Aber das Werk bleibt doch noch ein Mysterium. Vielleicht wehrt unsere an Schicksalsschlägen so überreiche Zeit das Eindringen in die Welt dieses gigantischen Überdrusses ab. Vielleicht ist die Welt des moralischen Ueberdrusses während der Konzeption der »Sechsten« übertrumpft durch die noch häßlichere Welt des Ueberdrusses, der uns ununterbrochen unterjocht. Was damals als Schicksalsmotiv auf Mahler lastete, das war für Mahlers Geistigkeit Schicksal. Eine Stimme, die in Töne verwandelt, Verzweiflung und Auflehnung gegen Verzweiflung widerspiegelt. Ein Werkwerden, das den Werkschaffenden vom Herrn über das Werk zum Sklaven des Werkes verwandelt hat.

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