versucht worden ist. Daran anschließend begründet er den Wert unterschiedlicher Rezeptionsurteile: »Zu suchen wäre nach analysierbaren Qualitäten, die eine plausible Erklärung differierender Urteile zulassen. Das müßte keineswegs zu beliebiger Relativität aller möglichen Urteile führen. Ein solcher Versuch würde sich auf Ingardens Analyse der intentionalen Werkstruktur stützen können, die einen Rückhalt im notierten, analysierbaren Substrat bietet. Vorausgesetzt würde kaum mehr als in jedem Ansatz. Andererseits würde nicht primär die Entscheidung für eine einzig richtige Interpretation gefordert. In dem Maße, in dem es gelänge, Gründe konträrer Rezeptionsurteile am Werk aufzudecken, würde etwas von der potentiellen Vielfalt der Struktur einsichtig. Statt einseitiger Entscheidungen ginge es darum, Möglichkeiten verschiedener Urteile aufzudecken. Die Inkonstanz der Rezeption läßt sich demnach gerade als Zeichen für die Konstanz des Werkes auffassen. Keineswegs stünde eine definitive Lösung der Probleme des Urteils und der Rezeption in Aussicht; gäbe es sie – eine eher beklemmende Vorstellung –, so würde Musikwissenschaft überflüssig.«8
Der von Krummacher im Anschluß an Ingarden entworfene Zugang zum Werk ist ebenso pluralistisch und tolerant wie vorher bei Danuser. Als Kontrollinstanz für eine Rezeption sei immer wieder das Werk zu befragen. Diese Maßgabe verleiht einer Interpretationskonstante, die an Gestaltungsmerkmalen des Werkes festzumachen ist, als Rezeptionsmoment nachhaltige Aufmerksamkeit. Bei diesen Gestaltungsmerkmalen handelt es sich nicht um formimmanente Erkenntnisse, sondern um »tönende Symbole« (Redlich) oder »Vokabeln« (Eggebrecht). Die Soldatenlieder haben durch den eindeutig kriegsbezogenen Text eine zusätzliche Stütze. Auch die Frage nach adäquater und inadäquater Rezeption und Interpretation, die in der rezeptionsgeschichtlichen Diskussion immer wieder thematisiert wird, kann mit der Forderung nach Bezug zur Werkgestalt beantwortet werden. Ein weiterer Grund, die Interpretationskonstante ernst zu nehmen, ist ihre lange Präsenz im Mahler-Schrifttum. Mindestens von 1930 bis in die Mitte der siebziger Jahre beherrscht diese Idee die Deutung der Sechsten Symphonie – einige Komponenten gehen bis in Mahlers Lebzeiten zurück. Alle wichtigen Mahler-Interpreten mit Ausnahme von Paul Bekker haben in jener Zeit Anteil an dieser Interpretation. Die Interpretation wurde in den fünfziger und sechziger Jahren von denen getragen, die unter den Katastrophen des Jahrhunderts in erheblichem Maße zu leiden hatten. Sowohl Redlich als auch Adorno sind in der Zeit des Nationalsozialismus ins Exil getrieben worden, und auch Ratz hat als Kommunist und Jude die Verfolgung in starkem Maße erlebt9
Es gibt also zwei Gründe, warum die Interpretationskonstante in jüngerer Zeit an Bedeutung verloren hat. Zum einen ist es das vorherrschende Interesse der Musikwissenschaft nach formimmanenten Prozessen, das einer Interpretation, die auf |