- 251 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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In dieser Passage bleibt offen, wer hier ringt und untergeht. Kurz vorher auf der gleichen Seite heißt es bei Specht, was Korngold nicht zitiert: »hier tönt nicht das Sensendengeln des Schnitters Tod, – der Hammer des Weltenwesens saust nieder (die beiden Stellen sind von erschreckender Größe!), und der Tod selbst sinkt unter diesen die ganze Erde zu Staub zermalmenden Streichen.«29
29
Specht, Mahler (1913), S. 298, (1918), S. 249.

Diese Idee schien Korngold für seine Darstellung nicht geeignet zu sein. Genauso hat kein Kritiker die Gedankenführung Hans Ferdinand Redlichs von 1930 aufgegriffen, in der er erstmalig von einer Kriegsvorahnung Mahlers sprach. Das gleiche gilt für Adornos Ausführungen zur Sechsten. Die Artikel waren im Mahler-Heft des Anbruch im März 1930 erschienen. Wer sich auf den aktuellen Stand der Mahler-Diskussion bringen wollte, hat sich in dieser prominenten Wiener Zeitschrift für Neue Musik orientieren können. Spuren der Ausführungen Redlich3s oder Adornos lassen sich in den fünfzehn Rezensionen, die nach dem März 1930 erschienen sind und hier ausgewertet worden sind, jedoch nicht finden. Elf dieser Rezensionen behandeln Aufführungen in Wien! Es ist kaum anzunehmen, daß die Wiener Kritiker das Mahler-Heft des Anbruch nicht gekannt haben.

Die einzige bemerkenswerte Veränderung im Andante ist, daß Idyllisches und Friedliches in der Musik hier deutlich weniger zur Sprache kommt.

Signifikant sind die Veränderungen im vierten Satz. Während von Lärm und Brutalität erheblich weniger gesprochen wird, treten die Kategorien Kampf, Ringen und Schicksal hervor. Vermehrt ist auch von Untergang und Zerstörung und vom Grausamen und Düsteren die Rede. Die an der Symphonie insgesamt wahrgenommenen Rezeptionsveränderungen zeigen sich identisch am vierten Satz.

Der Wahrnehmungsunterschied im Scherzo bezieht sich auf ein Feld um die Kategorien Dämonie, Phantastik und Ironie, die nach 1919 in erheblich stärkerem Maße auftreten. Marschcharakteristik wurde in diesem Satz niemals wahrgenommen. Dafür könnte die Tradition des Scherzos verantwortlich sein, die an den Dreiachteltakt, an Vorstellungen vom Tanzcharakter und an das Scherzoidiom gebunden ist und somit allem Marschmäßigen fernsteht.30

30
Hans-Peter Jülg, Gustav Mahlers Sechste Symphonie, München-Salzburg 1986, S. 79.


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