- 24 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (23)Nächste Seite (25) Letzte Seite (410)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

in vielen anderen Orten, und Mahler hatte einer solchen Gruppe auch schon in Laibach angehört. In dieser Kasseler Schlaraffia nannte er sich Klingsor, wohl in Anlehnung an Wagners Parsifal, dessen Aufführung er kurz vor der Gründung in Bayreuth gesehen hatte. Die Gründungsmitglieder stammten zumeist aus dem Theatermilieu. Mahler trat im gleichen Jahr wieder aus der Vereinigung aus, blieb aber »Ehrenpilger«.19
19
Hundert Jahrungen Chasalla, hg. von der Schlaraffia Chasalla. o.O. [Kassel] 1983, und Schaefer, Jahre der Entscheidung, a.a.O. S. 52f.
In späterer Zeit scheint er keine Berührung zu dieser Vereinigung mehr gehabt zu haben, wie die Kasseler Chronik zum 100-jährigen Bestehen 1983 bemerkt, obwohl es auch in Prag, Leipzig, Budapest, Hamburg und Wien »Schlaraffia-Reyche« gab.20
20
100 Jahrungen Chasalla, S. 16.

In der folgenden Saison arbeitete Mahler in Prag am Deutschen Theater. Die Einwohner der Hauptstadt Böhmens teilten sich zu der Zeit in drei Fünftel tschechischer und zwei Fünftel deutscher Nationalität. Fast 80 % bedienten sich der tschechischen und nur 20 % der deutschen Umgangssprache.21

21
Nach Friedrich Umlauft, Die Österreich-Ungarische Monarchie, Wien 1883, zit. nach Blaukopf, Dokumente, S. 173.
Entsprechend standen das tschechische Nationaltheater und das deutsche Theater in Konkurrenz, denn die Nationalitäten besuchten vorrangig ihr eigenes Haus, der Großteil der Stadt also das tschechische Nationaltheater, dessen Gebäude erst 1883 fertiggestellt worden war.22
22
La Grange I, S. 203.
Durch die Berufung von Angelo Neumann als Theaterdirektor an das Deutsche Theater sollte das ins Hintertreffen geratene Haus neuen Aufschwung erhalten.23
23
Vgl. Blaukopf, Dokumente, ebd.
Er stellte ein neues Ensemble zusammen, und so stand auch Mahlers Engagement unter den Vorzeichen einer Konkurrenzsituation zweier Nationalitäten, die also auch die Sphäre der Kunst nicht unberührt ließ. Und Mahler nahm den Kampf um die Kunst auf, wie er in einem Brief an seine Mutter zum Ausdruck brachte: »Die Zeitungen hauptsächlich das Tageblatt werden nämlich über mich herfallen, denn das sage ich schon voraus, daß sie alle schreien werden Wehe! Wehe! die ›Tradition‹ ist beim Teufel!«24
24
Blaukopf, Dokumente, ebd.

La Grange berichtet einen Zwischenfall, der die Atmosphäre nationalistischer Auseinandersetzungen in Prag beleuchtet und auch die politische Dimension der Musik verdeutlicht. Am 13. Februar 1886 gab es ein Gedenkkonzert zum 4. Todestag Wagners, in dem Mahler einen Teil des Programmes – neben Slansky und Karl Muck – dirigierte. Dieses Konzert wurde eine Woche später zugunsten des Deutschen Schulpfennigvereins wiederholt, wobei Mahler auch die Anteile Mucks übernahm. Für dieses Dirigat ließ der politische Anführer der Deutschen in Prag, Philipp Knoll, von allen Kollegen an der Deutschen Universität in Prag eine Dankadresse an Mahler unterzeichnen. Für den Februar hatte Angelo Neumann die Premiere der Oper Henri VIII. von Camille Saint-Saëns in seinem Theater angesetzt, wozu der französische Komponist nach Prag gereist war. Nachdem die Proben schon begonnen hatten, erschienen in der Berliner Presse Artikel, die antiwagnerische Haltungen bei Saint-Saëns manifestierten. Auf Anraten von Neumann veröffentlichte der französische Komponist in der Zeitschrift Bohemia am 7. Februar


Erste Seite (i) Vorherige Seite (23)Nächste Seite (25) Letzte Seite (410)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 24 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang