- 224 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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Die erfolgte qualitative Inhaltsanalyse zieht nun eine Quantifizierung der Ergebnisse nach sich (vgl. vorige Doppelseite). Mit Hilfe der Kennbuchstaben können die Kategorien numerisch erfaßt werden. Von hier aus sind wiederum qualitative Betrachtungen möglich.

Der erste Blick richtet sich auf die Kategorien Weltgeschichtliche Bezüge und Militaria. Weltgeschichtliche Bezüge sind in zwei Fällen zur Symphonie als Ganzes und in einem Fall zum vierten Satz genannt worden, also insgesamt nur in geringem Maße. Die Dortmunder Zeitung erwähnt, »daß das Werk in der dämonischen Epoche der Erdbeben entstanden ist« und spricht von »Gustav Mahlers Erdbeben-Symphonie« [E06/B]. Damit wird ein Bezug zum Erdbeben in San Francisco hergestellt, das sich etwa 6 Wochen vor der Uraufführung der Sechsten, am 18./19. April 1906 ereignete. Zweimal wird im Zusammenhang mit der Sechsten der Name Krupp genannt, beide Male unter Berufung auf den Hersteller von Kanonen: »Krupp macht nur Kanonen, Mahler nur Symphonien« [W07/E] äußert das Illustrirte Wiener Extrablatt zur Symphonie als Ganzes; das Verfasserkürzel »h.l.« dürfte Hans Liebstöckl meinen. Friedrich Brandes schreibt im Kunstwart: »Die elementaren Ausbrüche des Finalsatzes versetzen unmittelbar in das größte Hammerwerk des Kanonenkönigs. Es wäre nicht unwahrscheinlich, daß Mahlers neues Werk als Krupp-Symphonie konzipiert worden wäre und als solche in der Musikgeschichte weiterleben würde, wenn diese Annahme nicht durch manches andere hinfällig würde.« [E06/Q]

Der Bezug zu Krupp ist u.a. auf die Stadt der Uraufführung, Essen, zurückzuführen, in der die Fabrik angesiedelt war. Die beiden letzten Zitate fallen ebenso in die Kategorie Militaria. In dieser Kategorie treten insgesamt elf Nennungen auf, zwei betreffen die Symphonie als Ganzes, sechs den ersten Satz und drei den letzten. Für den ersten Satz sind das 20 % – eine nicht ganz selbstverständliche Größe für einen Symphoniesatz. Drei der Besprechungen beziehen sich auf den Marschcharakter, der kriegerisch [E06/V; B06/F] bzw. militärisch [B06/E] sei. Eine weitere Rezension erwähnt, daß es im ersten Satz »Kriegerisches« gebe [B06/G]; der Verfasser ist Rudolf Fiege, identisch mit B06/F. Eduard Reuß schreibt in der Neuen musikalischen Presse: »Gleich in den ersten Takten tritt die kleine Trommel so deutlich hervor, daß man auf einen militärischen Charakter des Satzes gefaßt sein muß, der jedoch ausbleibt, da von einer Schlachtmusik nicht die Rede sein soll. [...] Soll der kriegerische Anflug des Anfangs bereits ein Leid gebracht haben, das beweint werden muß?« [E06/X]

Mit den Anfangstakten dürfte die im IV. Kapitel angesprochene »Locke« gemeint sein, die in einer einzigen Rezension zur Sprache gebracht wird. Der die »Schlachtmusik« betreffende Nachsatz bleibt kryptisch. Zwei weitere Rezensionen bringen allgemeinere Militaria: Max Kalbeck spricht zur Symphonie als Ganzes von »blutigem Purpur seiner gebauschten Draperie« [W07/J]; Julius Korngold erwähnt zum Gesangsthema des Ersten Satzes, es führe »Leyer und Schwert zugleich im Wappen« [W07/H]. Es handelt sich um das Thema, das Alma Mahler später als Charakterisierung ihrer selbst hinstellte.


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