Die ältere naive Sichtweise äußert sich nochmals in Egon Pamers Wiener Dissertation von 1922 über Gustav Mahlers Lieder. In Revelge sei es das »sagenhafte – manchmal ans Unheimliche streifende« Moment, das sich dort zeige, ebenso wie im Klagenden Lied.83
Und selbst Ernst Bloch ist 1923 im Grunde in derselben Sichtweise gefangen, auch wenn er eine Negativposition daraus entwickelt. Für ihn ist der »gesucht simple und deutschtümelnd sentimentale Kram vieler Mahlerschen Lieder, vor allem die aus des Knaben Wunderhorn« weder erfreulich noch leicht erträglich.85
Oskar Bie, der 1926 in der »Weltbühne« über Mahlers Lieder referierte, stellt den Kriegsbezug wiederum dezidierter her: »Die dritten Wunderhorn-Lieder bleiben im Gespensterkreis des Soldaten. Krieg und Tod, Dienst und Seele. Die Revelge und der Tambourg’sell sind Balladen auf militärischen Rhythmen, düstere Beleuchtung, szenisches Arrangement [...] Wo Tod und Leben grausam zusammenstoßen, glüht Mahlers musikalische Phantasie auf. [...] Mahler spielt gern dieses Theater, weil es keines ist. [...] Sein Herz sehnt sich, um verstanden zu werden, nach Wirkung. Die Wirkung soll die Wahrheit heben.«86
Einen weiteren deutlichen Schritt in Richtung auf eine Inbeziehungsetzung von Mahlers Musik mit dem ersten Weltkrieg leistete wiederum Hans Ferdinand Redlich im Mahler-Heft des Anbruch 1930. In seinem Aufsatz Mahlers Wirkung in Zeit und Raum lautet die abschließende Passage: »In seiner Musik zitterte – den Zeitgenossen teils unverständlich, teils lächerlich – das Grauen vor dem eisernen Zeitalter, an dessen Schwelle er starb. Aus den merkwürdig häufigen Trauerkondukten, Schlachtmusiken, soldatischen Volksliedern und gespenstisch militärischen Tonsymbolen ist das Fernbeben des heranziehenden Krieges zu spüren. Aus dem Rembrandtschen ›clair obscure‹ der ›Nachtmusiken‹, der Revelge, des Tambourgsell leuchtet der Widerschein eines weiten aber gefährlichen Feuers. Die Angst vor dem Feuer, die Trauer um eine dem zerstörenden Brand geweihte Welt, die endliche Gefaßtheit und Ergebenheit in das kommende Schicksal, mit der er in der VIII. Symphonie barock-theatralisch – im Lied von der Erde sehr persönlich und erschütternd in der allmählichen Lautlosigkeit des ersterbenden Gefühls – Abschied vom Leben, Abschied von seinem Jahrhundert nimmt – dies ist das Vermächtnis Gustav Mahlers an eine nahe Zukunft.«87
Hier ist – 1930 – die Idee der Vorahnung des Ersten Weltkrieges erstmals ausgebildet, die dann später von Ratz und Adorno mitgetragen wurde. Zehn Jahre zuvor, |