- 133 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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Feldwacht, den bei den schönen Trompeten Begrabenen – um an ihnen festzumachen, mit wem Mahler sympathisiert: mit den Asozialen.20
20
S. 216.
Den Zwiespalt zwischen Subjektivem und Objektivem löst er hier, am Ende des Buches, indem er postuliert:

»Subjektiv ist Mahlers Musik nicht als sein Ausdruck, sondern indem er sie dem Deserteur in den Mund legt.«21

21
S. 216.

Hans Mayer, der 1966 für den deutschen Sprachraum erstmalig die Literaturauswahl Mahlers diskutierte, postulierte die Ich-Bezogenheit von Mahlers Texten:

»Mahlers Kunst ist in einem so exzessiven Maße dazu bestimmt, der Selbstaussage zu dienen, sie ist in ihren tiefsten Impulsen so ausschließlich Autobiographie, daß alles andere daneben nur als Vorwand zu dienen vermag. Dieser große Künstler verhält sich zur Literatur zunächst wie ein naiver Dilettant, der beim Lesen von Gedichten oder Romanen alles verschlingt, was der Identifikation zu dienen scheint, so daß er alle Aussagen der Dichter danach prüft, ob sie ein Wiedererleben eigener Zustände gestatten, all jene Seiten jedoch überschlägt, die dafür nicht zu taugen scheinen.«22

22
Hans Mayer, Musik und Literatur, in: Gustav Mahler, Tübingen: Rainer Wunderlich Verlag 1966, S. 142–156, hier S. 146.

Der Frage allerdings, welche eigenen Zustände Mahler in seinen Wunderhorn-Liedern wiedererlebt, gar in den Soldatenliedern, stellt Mayer sich nicht. Auch ein zweiter Aufsatz über Gustav Mahler und die Literatur23

23
Hans Mayer, Gustav Mahler und die Literatur, in: Mayer, Ein Denkmal für Johannes Brahms. Versuche über Musik und Literatur, Frankfurt 1983, Wiederabdruck in (1983), wiederabgedruckt in: Musik-Konzepte Sonderband Gustav Mahler, München 1989, S. 150–158.
, in dem er Gedankengänge des ersten wiederholt und anhand neuerer Literatur diskutiert, führt ihn nicht zu dieser Frage.

Die Idee indes, daß Mahlers Wunderhorn-Lieder Selbstaussage, Autobiographie seien, forderte den Widerspruch Adornos heraus und es kam am 15. März 1967 zu einem Streitgespräch im Norddeutschen Rundfunk. Zunächst trug Hans Mayer hier seinen Text von 1966 noch einmal modifiziert vor, worauf Adorno mit einem Gegenstatement antwortete, das später gedruckt erschien24

24
Th. W. Adorno, Zu einem Streitgespräch über Mahler, in: Musik und Verlag, Karl Vötterle zum 65. Geburtstag, Kassel 1968, S. 123–127.
. Daraufhin folgte eine halbstündige Diskussion25
25
Der Mitschnitt des NDR trägt die Archivnummer N001499. Dem Sender sei für die Bereitstellung des Bandes gedankt.
. In dem fraglichen Punkt, inwieweit Mahlers Lieder autobiographisch zu verstehen seien, präzisierte Mayer, daß es völlig falsch sei, darunter eine Kunst der Einsamkeit und der Distanz zur Gesellschaft zu verstehen. Beide einigten sich auf den Begriff der kollektiven Verbindlichkeit und Objektivität seiner Musik. Das sei auch der Grund, warum Mahler sich von der zeitgenössischen, stark subjektivistischen und psychologisierenden Lyrik distanziert habe. In den verhältnismäßig traditionalistischen Wunderhorn-Gedichten, die noch nicht gänzlich nominalistisch, nicht gänzlich von der subjektiven Intention durchherrscht waren, habe er etwas wie Skelette für die musikalische Konstruktion gefunden, so Adorno. Weiter spricht er von Mahlers Bedürfnis nach autonomer musikalischer Gestaltung,

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