- 119 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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Sechster! Zwar war Strauss bei der Aufführung selbst nicht anwesend, da er am gleichen Tag eine Aufführung des Fliegenden Holländer zu dirigieren hatte.139
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Mitteilung des Richard-Strauss-Institutes Garmisch-Partenkirchen vom 15.12.2000.
Doch ist es sehr wahrscheinlich, daß er einer Probe des Werkes beigewohnt hat und Mahler begegnet ist. Das Werk selbst hatte er schon bei der Uraufführung in Essen am 27. Mai 1906 kennengelernt. Der Beginn des Marsches zeigt große Ähnlichkeiten zu Mahlers Symphoniebeginn. Zunächst wählt auch Strauss ein Moll-Geschlecht: c-Moll. Auch er bringt wie Mahler im ersten Takt nur Bässe mit dem viermaligen Grundton in Achteln; dieses Moment wurde oben als militärmusikalische »Locke« angesprochen. Im vierten Takt folgen Trillerketten in den Holzbläsern und in der kleinen Trommel. Mit dieser Eröffnung entsteht sofort eine klangliche Nähe zu Mahlers Symphonie-Beginn, die durch weitere Ähnlichkeiten unterstützt wird. Damit dokumentiert Strauss, daß diese Klanglichkeit nicht nur Militärmarsch bedeutet, sondern durch den Titel auch Krieg signalisiert. Richard Strauss’ Kriegsmarsch endet jedoch anders als Mahlers Symphonie: Dem elftaktigen Marschteil folgt ein zehntaktiges Trio in Es-Dur, worauf der Marschteil, um drei Takte erweitert, wiederholt wird, ganz nach der üblichen Marschform. Darauf folgt ein 27-taktiger Abschlußteil in C-Dur, wodurch sofort die Klanglichkeit eines typischen Militärmarsches entsteht. Hier wird die Motivik des c-Moll-Anfangs nach C-Dur gewendet und zu einem strahlendem Abschluß gebracht.

Alles in allem läßt sich die Idee, daß der Untergang ein militärischer ist, aufs deutlichste in der Musik der Sechsten entdecken, noch viel deutlicher, als Adorno, Redlich und Ratz es aufgezeigt haben. Für die Sphäre des Militärs können die auf weite Strecken wahrzunehmenden Klangelemente des Militärmarsches verantwortlich gemacht werden. Der Nachweis wurde geführt, um die diskutierte Interpretationskonstante am Gegenstand des Werkes zu prüfen. Allerdings muß in Frage gestellt werden, ob der Militärmarsch allein die Sphäre des Militärs repräsentiert, oder ob hier – ähnlich wie bei den Soldatenliedern – eher an eine symbolische Ebene zu denken ist. Der Militärmarsch kann eine ganze Reihe von Konnotationen mit sich führen, so etwa die staatliche Ordnung der Monarchie, die Repräsentation des Kaisertums, patriotischen Stolz auf die Errungenschaften des eigenen Landes, aber auch Kraft und Energie im allgemeinen, schließlich Zwang und Kollektivität. Für die Idee des Untergangs stehen im Werk die Deformation der Klangelemente des Marsches und vor allem der negative Ausgang der Symphonie als Novum in der Gattungstradition. Die Frage, wie die Zeitgenossen die Sphäre des Militärischen und das Ende im Untergang wahrnahmen und deuteten, wird der zentrale Gegenstand der beiden folgenden Kapitel sein.


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