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Er beginnt wie ein Märchen, setzt sich mit einer Pseudo-Dokumentation über den
Aufstieg der Jill fort, bevor Malle im letzten Teil in Spoleto ein Melodram inszeniert.
Eine seltsame Mischung, zu der auch die Musik einen großen Beitrag liefert,
trennt sie doch klar die einzelnen Teile voneinander ab. Während im ersten
Teil die Klaviermusik mit der märchenhaften Erscheinung Jill korrespondiert,
beschreibt das Jazz-Idiom Paris und den hektischen Rhythmus des Showbusiness. Im
letzten Teil wiederum wechseln sich tragische und heitere Passagen ab, so dass
von einer einheitlichen musikalischen Sprache nicht die Rede sein kann. Die
massive musikalische Untermalung macht es dem Zuschauer unmöglich, eine
Distanz zum Protagonisten zu wahren, zumal die Musik fast immer das Bild
atmosphärisch einfärbt bzw. die Gefühlslage der Jill repräsentiert. Somit erscheint der
dokumentarische Aspekt in einem sehr subjektiven Winkel. Der Zuschauer
wird mittels der Musik in das filmische Geschehen hineingezogen und fühlt
zwangsläufig mit dem Filmstar. Eine besondere Rolle spielt hier das Hauptthema, eine
Art Leitmotiv, das je nach Belieben und Stimmung entsprechend umgeformt
wird.
Die Verwendung der Musik im Film entspricht in gewissem Maße dem von Malle abgelehnten beeinflussenden Gebrauch. Carpis Musiksprache entspricht den Konventionen und Maßstäben einer Filmpartitur der Prägung Hollywoods, was an mehreren musikalischen Analysen deutlich geworden ist. In nur äußerst wenigen Filmen von Louis Malle wird eine derartige Quantität an Musik montiert. An manchen Stellen leuchtet die Notwendigkeit eines Takes nicht ein. Vor allem im letzten Teil schwankt die Musik immer wieder zwischen Tragik, Liebesglück und beinahe Slapstick, so dass eine eindeutige musikalische Linie verloren geht. Zudem wird eine große Menge an verschiedener Musik im On montiert, sei es die Ballettmusik, die Spieluhr, die melancholisch gezupften Gitarrenakkorde, die Haydn-Schallplatte oder der Fernseher. So wirkt das musikdramaturgische Konzept amorph, da viele verschiedene Klangfarben verwendet werden. Einer der stimmigsten Momente ist das Zusammenspiel von Kamera, Musik und Darstellerin in der ersten Sequenz, in der in der Tat ein märchenhafter Glanz über allem liegt. Die musikalisch ergiebigsten Passagen sind die Einfahrt nach Spoleto in Segment 74 und der Schluss. Hier liegt der für diesen Film seltene Fall vor, dass die Musik die Handlung kommentiert. Während Jill von Grisha chauffiert in die italienische Stadt einfährt, ertönt Musik von den Festspielen. Der Filmbetrachter bemerkt dies jedoch erst, wenn das Orchester gezeigt wird. Dieser Musikeinsatz, einem Auszug aus dem Libera me von Verdis Requiem, kann in Bezug auf die Handlung auf zwei Wegen interpretiert werden. Einerseits mutet das Flehen nach Rettung wie ein Hilferuf von Jill an, die ihr Leben ändern und sich ganz der Liebe Flavios hingeben will. Andererseits wird bereits an dieser Stelle vorweggenommen, dass Jill die Stadt Spoleto nicht mehr lebend verlassen wird, begrüßt die Musik sie doch mit den Worten »Libera me, Domine, de morte aeterna . . . «, »Rette mich Herr, vor dem ewigen Tod«. Die Rettung Jills kann jedoch nur durch den Tod erfolgen. Allein durch ihn erfährt sie eine Erlösung von ihren irdischen Qualen. Wenn Enno Patalas schreibt: »Malle feiert Jills Liebe zu Fabio, vor allem in der Sequenz von langen Fahrtaufnahmen, die ihre Einfahrt in Spoleto wiedergibt: ihr Glücksgefühl ergreift förmlich die Straßen und Mauern der Stadt, die von der Musik der Festspiele gefüllt sind«,109
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