Take 21 besteht aus einer (teilweise chromatischen) Folge von Tönen, deren grobe
Richtung abwärts gerichtet und deren besonderes Merkmal eine fallende Quarte ist.
Zunächst über Schlagzeilen montiert, die Jill als männersüchtige Nymphomanin
darstellen und die plakativen Begriffe wie ›censored‹, ›sex symbol‹ oder ›parents
complain‹ verwenden, erreicht diese Musik in Segment 37 ungeahnte Wirkung: Die
ohnmächtige Jill wird von mehreren Polizeibeamten durch die Menge zu ihrem Wagen
getragen. Dabei werden die Geräusche vollständig ausgeblendet, so dass eine sehr
gespenstische Atmosphäre erzielt wird und die Klänge gewissermaßen einen
Trauermarsch assoziieren. Die drei Etappen (Männer, Skandale, Zusammenbruch)
werden somit durch die Musik zu einer syntaktischen Einheit zusammengefasst und
erscheinen als logische Konsequenz.
Musik im On An zahlreichen Stellen wird die Musik durch die im Bild sichtbaren
Vorgänge motiviert. So spielt Jill an mehreren Stellen simple Gitarrenakkorde, aus dem
Radio ertönt Rock’n’Roll, und die Bühnenmusik des Kleist-Stückes (übrigens nicht die
für das Stück »Käthchen von Heilbronn« komponierte Musik Hans Pfitzners)
dient in den letzten, sich dramatisch zuspitzenden Szenen als musikalischer
Hintergrund.
Zwei Details sollen kurz angesprochen werden. In Take 39 wird Rock’n’Roll montiert,
während die Sensationsreporter eine Party vor dem Haus von Jills Mutter feiern. Exakt
dieselbe Musik ertönt in Take 46, an der Stelle, an der Alain und seine Freunde in
Fabios Appartement verweilen und mit Jill pokern (leider wurde diese Musik aus
unerklärlichen Gründen in der synchronisierten deutschen Fassung gänzlich
ausgeblendet). Somit wird der vermeintliche Freund Alain durch die Musik als ebenso
skrupellos wie seine Kollegen enttarnt. Letztlich ist er es, der durch das Blitzlicht Jills
tödlichen Sturz provoziert.
Ein Selbstzitat montiert Malle in Segment 57. Wie schon im Erstling Ascenseur pour
l’échafaud dient auch hier das Streichquartett op. 3, 5 von Joseph Haydn als
Untermalung eines versuchten Selbstmordes. In beiden Fällen versuchen sich die Opfer
mittels der Musik in eine für sie offensichtlich harmonische Stimmung zu versetzen, um
in Frieden von der Welt zu scheiden, was jedoch in beiden Fällen misslingt.
Auf die Rolle des Libera me aus Verdis Requiem wird im folgenden Fazit noch
eingegangen.
Fazit
In seinem vierten Film dementiert Louis Malle den Bardot-Mythos des in Armut
aufgewachsenen Mädchen, das zum Kinostar und Skandalobjekt wird. Vielmehr stellt er
das Mädchen Jill (bzw. Brigitte Bardot, die zu einem großen Teil sich selbst spielt) als
naives, aus wohlhabendem Hause stammendes unschuldiges Mädchen dar, das in die
Fänge der Kulturindustrie und PR-Agenten gerät. Malle schwebte folglich vor,
das Phänomen ›Brigitte Bardot‹, die von Simone de Beauvoir als Pionier der
Frauenbewegung dargestellt wurde, wenn schon nicht zu erklären, so doch wenigstens
darzustellen.
Dennoch erinnert in Vie privée nur sehr wenig an einen (semi-)dokumentarischen
Film. Wie schon in Les Amants besteht der Film aus völlig unterschiedlichen Tei-
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