Einen ähnlichen Weg wählt Carpi. So benutzt er genretypische Musikstile, um sie
ironisch zu verfremden. Die aus dem Stummfilm stammende Slapstick-Musik wird
absichtlich zu schnell gespielt, Klänge zu Liebesszenen werden durch den stereotypen
Einsatz von Streichern persifliert, wobei Wagner und Brahms zitiert werden und die
›Jagdmusik‹ (Take 30ff.), die im charakteristischen Triumphgestus gehalten ist, evoziert
eine spanische Stierkampfarena, während der dichte Verkehr um die Place de la Concorde
gezeigt wird.
Dennoch vermag die Musikdramaturgie – so ironisch sie auch gemeint sein soll – nicht
eine wirksame Kritik an der auditiven Ebene des Films hervorzurufen. Dieses liegt im
Wesentlichen an zwei Gründen. Zum einen verharrt Carpi in der konventionellen
Filmmusiksprache:101
vgl. hierzu Eisler/Adornos Kapitel ›Vorurteile und schlechte Gewohnheiten‹ in Adorno/Eisler
(1996), S. 19–37. Kritik an der klassischen Filmmusikdramaturgie basieren sie auf dem von
ihnen propagierten Einsatz Neuer Musik im Film. Dieser Ansatz fehlt in Carpis Soundtrack
völlig.
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Weitgehend auf Jazz basierend, überrascht die eingängige Musik den Filmbetrachter
keineswegs. Zazies Hauptthema (t 3) wird in altbewährter Weise motivisch
verarbeitet (t 11, 17), und wenn die Musik auch inhaltliche Themen des Films
kommentiert (Liebe, Modernisierungsaspekt), so ironisiert sie sich selber nur an
wenigen Stellen (s. o.). Des Weiteren verpasst der Film die Gelegenheit, Kritik an
der Musik auf anderem Wege als durch Musik auszudrücken. Musik unterliegt
nämlich nicht dem Dilemma, dass sie, um Kritik an sich selbst zu üben, sich
ihrer eigenen Sprache (also der Töne) bedienen muss. Horton erklärt dieses auf
literarischer Ebene am Beispiel der Sprache Gabriels: »Language cannot be
formally or completely critiqued because one must use language to express that
critique.«102
Die Musik könnte dagegen auch, gerade wenn sie durch das Bild motiviert ist, durch
verbale Äußerungen der handelnden Personen kommentiert und ironisiert werden, was
jedoch nicht geschieht.
Die dennoch zeitweise auftauchende Ironie wird dadurch abgeschwächt, dass das Bild
dem Filmbetrachter zuviel Aufmerksamkeit abfordert, als dass die Musik bewusst
und distanziert wahrgenommen werden könnte (vgl. Take 17). Während laut
Horton das Auseinanderklaffen von Stoff (Zazie im Paris der 60er-Jahre) und
Form der Darstellung bzw. Genre des Films (Amerikanische Slapstick-Komödie
à la Marx Brothers) eine Distanzierung des Zuschauers vom Geschehen
bewirke,103
»His subject matter is Zazie and her contemporary Paris environment, but his expression is
through the ›language‹ of American film comedy. The resulting clash between subject and
expression works as a critique by distancing us far enough from the character and ›story‹
so that we are conscious of the illusionary nature of both. Like Queneau’s novel, the film is
enjoyable for ist childlike delight in playing with conventions, forms, and ›grammar‹. But
such playful manipulation forces us to go beyond mere pleasure and consider the nature
of film as a medium of communication and a means of conveying what Gabriel sees as a
dreamlike reality.«, zit. n. Horton (1981), S. 68
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erscheint dieser Aspekt in Bezug auf die Musik nur in Ansätzen zu funktionieren, da sie
beispielsweise durch ihren Rhythmus den Zuschauer mitzureißen droht. In diesem Fall
wird der Rezipient also möglicherweise mit den physischen Auswirkungen der Musik
konfrontiert. Zwar macht sich an einigen Stellen der Einsatz von verfremdeter Musik
deutlich bemerkbar (vgl. Take 17); dennoch bleibt fraglich, ob der Zuschauer in
dieser Verwendung eine Kritik zu erkennen vermag. So wirkt die Mu-
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