- 35 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (34)Nächste Seite (36) Letzte Seite (363)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Diese Szene erinnert sowohl musikalisch als auch visuell an Stummfilmburlesken (Horton spricht von einer »suitably bouncy music in the silent-film tradition«89

89
Vgl. Horton, Andrew: »Growing up absurd. Malle’s Zazie dans le Métro (1960) from the novel by Raymond Queneau«. In: Horton, Andrew/Magretta, Joan (Hrsg.): Modern european filmmakers and the art of adaption. New York: Frederick Ungar Publishing 1981, S. 63–77, hier S. 70
). Die Musik, ein ragtime-artiges schnelles Stück, akzeleriert das Tempo im B-Teil entsprechend der nun beginnenden Verfolgungsjagd in der schmalen Einkaufspassage. Dabei ist die Musik dem Rhythmus der Füße Zazies angepasst.

Wesentlich länger und analytisch ergiebiger ist der nächste musikalische Slapstick-Einsatz. Nachdem Zazie mit Pedro im Restaurant Muscheln und Pommes Frites gegessen hat, flüchtet sie mit den Jeans. Hierbei werden die einzelnen Episoden dieser Flucht durch das »plan leit-motiv de cette poursuite«90

90
»Zazie dans le métro – découpage«, S. 28 (»leitmotivische Einstellung dieser Verfolgung«)
getrennt, das Zazie lachend in Großaufnahme zeigt. Von den engen Gassen des Flohmarktes geht es über zahlreiche Treppen und Passagen, Dächer und Straßen, bis die wilde Jagd nach einer Fahrt auf der Autoroute de l’Ouest ihren Abschluss findet. Während dieser fast fünf Minuten erklingt nahezu pausenlos Musik, zumeist absichtlich zu schnell abgespielter Ragtime bzw. New-Orleans-Style. Hierbei ist es teilweise nur noch möglich den Bass zu verfolgen, da Ober- und Melodiestimmen an manchen Stellen durch die hohe Geschwindigkeit (bis zu Ganze = 132) verschwimmen.

Musik und Bild sind genau aufeinander abgestimmt. Dieses wird vor allem in der Szene auf dem Dach der Passage du Grand Cerf deutlich. Sobald die Bewegungen in Zeitlupe erscheinen, halbiert auch die Musik das Tempo, bevor es danach wieder verdoppelt wird. Sabine Laußmann schreibt, »daß die Handlungen und Bewegungen der Hierarchie des Pesudo-Stummfilm-Dikurses untergeordnet sind: Nicht der Aktion als solcher gilt sein [L. Malles] Hauptinteresse, sondern der Integration von Bewegung in ein ›Ballett‹ filmisch koordinierter Abläufe«.91

91
Laußmann (1989), S. 377
Das gleiche ließe sich auch von der Musik sagen, deren Ausdruck und Gehalt durch das irrsinnige Tempo derart verfremdet wird, dass sie zur reinen Untermalung, eingeordnet in die Choreographie der zu begleitenden Sketche, degradiert wird. Gerade in diesem Abschnitt verhält sich die Musik vollkommen paraphrasierend zum Bild. Auch ohne Musik wäre dieser Klamauk witzig, die Musik verstärkt lediglich den visuellen Effekt und reißt den Filmbetrachter durch das Tempo mit. Der Verfremdung der Musik durch die übertrieben schnelle Geschwindigkeit entspricht auf der Bildebene das zusammenhangslose Aneinanderreihen der Gags: Zazie, die sich in eine Katze bzw. ältere Frau verwandelt, Zazie, die Pedro Ruß ins Gesicht schießt, ihn mit einer Bratpfanne niederstreckt, ihn mit einem Boxhandschuh k. o. haut oder ihn mit einem überdimensionalen Magneten an einen Brückenpfeiler zieht – die Aktionen folgen dem Gesamtkonzept des »ballet burlesque de comédie tout à fait folle, tout à fait absurde«,92
92
Les Lettres Françaises, 27. 10. 1960, zit. n. Laußmann (1989), S. 377 (»burleskes, absolut verrücktes und absurdes Ballett«)
einer liebevollen Hommage an die amerikanische Stummfilmkomik, zeitversetzt ins Paris der frühen 60er-Jahre.

Ein weiteres Kennzeichen für das Genre der Burleske sind die Geräusche, die bei den vielfältigen Attacken und Streichen Zazies gegen Pedro eingesetzt werden.


Erste Seite (i) Vorherige Seite (34)Nächste Seite (36) Letzte Seite (363)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 35 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?"