Musik, massiv
im Off eingesetzt, erfüllt vor allem atmosphärische Funktionen und bedient sich
einer Art Leitmotivik. Während in Crackers unter anderem die musikalische
Spannungsdramaturgie klischeehaft wirkt, trägt in Alamo Bay die melancholische
Gitarre Ry Cooders zur stimmungsvollen Emotionalisierung der Szenen bei, so dass
Malle in dieser Phase seine zurückhaltend neutrale Haltung stellenweise aufgibt, wobei
Alamo Bay wie ein Gattungsgemisch aus Melodram und Fischerei-Dokumentation wirkt.
Auch in den Filmen, die wieder in Europa gedreht wurden und der vierten Periode
zuzurechnen sind, kann sich Malle von einem emotionssuggerierenden Ansatz der
Musikdramaturgie nicht freimachen. Au revoir les enfants (1987) nähert sich zwar visuell
dem schlichten und unspektakulären Erzählstil früherer Produktionen an und
zeichnet sich auch musikalisch durch einen gezielten, sparsamen Gebrauch der
Schubert-Klaviermusik aus. Dennoch beinhaltet gerade der Einsatz der Musik in
der Schlusssequenz eine bewusste (oder unbewusste?) Emotionalisierung der
Bildvorgänge.
Während Milou en mai (1989) von einer feinen ironischen Kommentierung seitens der Musik gekennzeichnet ist, stellt Damage (1992) sowohl visuell als auch auditiv einen ästhetischen Sonderfall (abgesehen von Crackers) im Schaffen des Regisseurs dar. In ihm verlässt Malle gänzlich die neutrale Darstellungsweise und arbeitet sowohl kameratechnisch als auch musikalisch mit klischeehaften, stark suggerierenden Mitteln. Stilistische Ausnahmen, die die Grenzen des Genres Spielfilm verlassen, jedoch aufgrund ihrer Ästhetik zu den Dokumentarischen Spielfilmen gehören, sind die Theaterfilme My Dinner With André (1982) und Vanya on 42nd Street (1994). In ihnen spielt die Musik eine untergeordnete Rolle, da das Hauptaugenmerk auf der verbalen Sprache liegt. Auf die Sonderstellung von Black Moon (1975) als surrealistischer Fantasy-Film ist in dem dazugehörigen Kapitel hingewiesen worden.
Der Kerngedanke: die aktive Partizipation des Zuschauers in der Ästhetik des Dokumentarischen SpielfilmsBeim Betrachten des Gesamtwerks wird deutlich, dass Malle sein ästhetisches Postulat in Bezug auf die Wirkungsweise der Musik teilweise verwirklichen konnte. Gerade die Konzeptionen seiner Filme der späten 60er und der Dokumentarischen Spielfilme der 70er-Jahre belegen dies. In ihnen baut Malle seine Inszenierungen auf dem dualistischen Prinzip aus »tiefgründigem Verstehen [. . . ] und distanzierter Beobachtung«686
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