- 195 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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Musik geht hier jedoch über die Funktion »Historische Zeit evozieren«504
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Vgl. Schneider (1986), S. 98
hinaus und wird teilweise zum Inhalt des Films, taucht als Gesprächsthema auf (S 1) oder ist direkt mit der Handlung verbunden (Dizzy Gillespie-Schallplatte als Geschenk in S 49). Die restliche Musik trägt zu einem realistischen Eindruck des Lebensgefühls der damaligen Zeit bei. Charakteristisch sind die Tanzmusik-Takes (t 28–32), die einen Einblick in eine spezifisch französische Institution, den 14. Juli, bieten. Der Alltag Laurents mit sakralen Orgelklängen aus der Morgenmesse und dem für Pfadfinder typischen Flötenspiel ist ebenfalls akustisch präsent.

Die Musik verschmilzt in Le Souffle au coeur mit den Bildern zu einer Einheit und passt sich trotz der relativ hohen Quantität dem realistischen Erzählstil des Films an. In diesem ersten Spielfilm nach der Zäsur durch die Indienreise sind die Auswirkungen der Erfahrungen des cinéma direct deutlich zu spüren, da Malle die Mehrzahl der Takes im On verankert. Der bereits in einigen früheren Spielfilmen angelegte dokumentarische Zug in der Ästhetik tritt nun stärker hervor. Dabei vermag Malle den dokumentarischen Einsatz von authentischen Werken mit einer Musikdramaturgie zu verbinden, die über den rein illustrierenden Rahmen hinausgeht und Personen und Stimmungen charakterisiert und einfängt. In den Takes, die im Off erklingen und somit den realistischen Bildrahmen verlassen, bedient sich Malle nicht musikalischer Klischees, um vordergründige Effekte zu provozieren, sondern verwendet lediglich Originalaufnahmen von Parker. Zudem kaschiert er den Einsatz im Off, indem er den Parker-Titel Cosmic Rays beispielsweise ›acousmatisiert‹,505

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In Anlehnung an Chion (2000), S. 110 f. Chion spricht an dieser Stelle von »désacousmatisation«, dem Sichtbarwerden einer bis dahin unsichtbaren Tonquelle. Im obigen Fall ist das Gegenteil gemeint.
d. h. zunächst im Bild erklingen lässt (S 21) und im Folgenden im Off zitiert. Kim No. 2 bleibt dagegen im Off; allerdings ist dieser Einsatz durch die Position im Vor- und Abspann legitimiert.

Le Souffle au coeur gehört somit zu den Filmen Malles, in denen sein Postulat eines Vermeiden von konditionierten Musikreizeffekten weitestgehend verwirklicht wird.

  Lacombe Lucien – ein (akustisches) Epochenfresko (2)

Der Film Lacombe Lucien erzählt die Geschichte des 17-jährigen Bauernsohns Lucien, der im Juni 1944 im Südwesten Frankreichs zufällig in die Hände der Gestapo und der französischen Miliz gerät und sich dieser anschließt. Er verliebt sich in France, die Tochter eines jüdischen Schneiders, der sich in der Kleinstadt Figeac versteckt hält. Als France und ihre Großmutter verhaftet werden sollen, erschießt Lucien im Affekt einen deutschen Soldaten und flüchtet mit den beiden Frauen in die Wildnis. Eine Einblendung am Schluss des Films unterrichtet von der Exekution Luciens durch ein Libération-Gericht.


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