die Kamera verweilt in einer einzigen Einstellung
(55 sec) auf einem kleinen Jungen, der versucht Fahrrad zu fahren. Dazu gibt die
Off-Stimme Einführungen in die Landeskunde. An dieser Stelle wirkt die visuelle
Fokussierung auf ein einzelnes Subjekt kontrapunktisch zur Tonebene. Die
Aufmerksamkeit des Filmbetrachters schwankt zwischen den auditiven landeskundlichen
Informationen und der sich im Bild stellenden Frage, ob es dem Jungen nach zahlreichen
vergeblichen Versuchen endlich gelingt, auf das Fahrrad zu steigen. Damit haftet
den Informationen etwas Unwichtiges an – sie scheinen dem Regisseur nicht
wirklich wichtig zu sein. An anderer Stelle reiht die Off-Stimme verschiedene
Aspekte in einem Satz aneinander, die in keinem Zusammenhang zu stehen
scheinen, während im Bild alte Frauen gezeigt werden: »L’opium est interdit
depuis trois ans, il n’y a pas d’analphabétisme, les paysans ne s’intéressent pas
à la politique, ils sont en général endettés; les vieilles femmes mâchent du
bétel.«400
»Opium ist seit drei Jahren verboten, es gibt keinen Analphabetismus, die Bauern
interessieren sich nicht für Politik, sie sind in der Regel verschuldet; die alten Frauen kauen
Betel.«
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Aus dieser lakonisch-desinteressiert vorgetragenen Informations-Mixtur spricht eine
gewisse Indifferenz und eine Ironie, die jene Reportagen persifliert, in denen möglichst
viele verschiedene Informationen auf engem (zeitlichen) Raum zusammengetragen
werden.
Diese beiden Beispiele demonstrieren die Rolle der Off-Stimme im Film. Sie setzt
durch ihre Artikulation und durch die Auswahl der gelieferten Informationen ironische
Kontrapunkte zu den Bildern. So werden gleichzeitig eine Distanz gegenüber westlichem
Einfluss (z. B. Touristen) und regimekritische Töne deutlich. In Bezug auf die Touristen
wird erklärt: »La Thailande est très appréciée des visiteurs occidentaux. Ils y trouvent de la
couleur locale, des hôtels air-conditionnés, un gouvernement qui combat activement le
communisme.«401
»Thailand ist bei westlichen Touristen sehr beliebt. Sie finden dort Lokalkolorit, Hotels mit
Klimaanlage und eine Regierung, die aktiv den Kommunismus bekämpft.«
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Zu den Fernsehsendern weiß die Stimme zu berichten: »Une chaîne appartient au
gouvernement, l’autre à l’armée. Bientôt la police aura la sienne. Elle sera en
couleur.«402
»Ein Programm gehört der Regierung, das andere der Armee. Bald wird auch die Polizei ein
eigenes Programm bekommen; es wird in Farbe sein.«
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Spielt das erste Zitat offensichtlich vor allem auf amerikanische Touristen an (der ›aktive
Kampf gegen den Kommunismus‹ und der westliche Lebensstandard der Hotels mit
Klimaanlage), richtet sich das zweite indirekt gegen die Verstaatlichung der Medien und
die seit dem Militärputsch 1947 eingerichtete Militärdiktatur. Die Präsenz des westlichen
Einflusses, der sich vor allem im Einsatz der Musik manifestiert (s. u.), gipfelt
im desillusionierenden Fazit am Ende des Films: »L’exotisme n’existe plus,
c’est une invention des voyageurs, qui ne veulent pas rentrer avec des valises
vides.«403
»Die Exotik existiert nicht mehr. Er ist eine Erfindung der Touristen, die nicht mit leeren
Händen nach Hause kommen möchten.«
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Anstelle eines schmackhaften Reisefilms gerät der Film somit zu einer trockenen
Zustandsbeschreibung des Landes, die den Schein des exotischen Flairs aufdeckt und
hinter die Fassade blickt.
Die im Film verwendete Musik setzt sich aus fernöstlichen Musikstücken einerseits und
vom westlichen Beat beeinflussten Rockstücken andererseits zusammen,
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