den harten
physischen Kampf: verschwitzte, ausgelaugte Gesichter in Großaufnahme, wobei die
Stimmen absichtlich asynchron zu den Gesichtern montiert sind, um dem Filmbetrachter
die (Hör-)Perspektive der Fahrer zu vermitteln und die Athleten wie eine Masse
erscheinen zu lassen, die das gleiche Schicksal teilt, anstatt einzelne Athleten
herauszuheben.390
Im Folgenden wird diese Perspektive beibehalten, indem Malle das Radfahren aus der Sicht der Fahrer als einen Schwindel erregenden, immer schneller werdenden Prozess darstellt. Er verwendet schnelle Schnitte und eine akzelerierende Musik (Musette-Walzer), bis die Fahrer in einen Massensturz verwickelt werden. Mit dieser Szene wird der zweite Teil des Films eingeleitet, von dem hier nur einige für die auditive Dramaturgie signifikante Stellen erwähnt werden. Über weite Strecken passt sich die Musik der Atmosphäre und dem Rhythmus des Films an: Nach dem Sturz erklingen elegische Streicher, und wenn in Segment 14 ein am Kopf Verletzter während der Fahrt behandelt wird, verwendet Delerue ein ebenso tragisch anmutendes Stück im langsamen 3/4-Takt. Der Einsatz der Musik in Segment 17 erinnert fast an mickeymousing; der Rhythmus akzeleriert und ritardiert parallel zum scheiternden Versuch des Gedopten, Anschluss an das Hauptfeld zu erlangen. Zwei Stellen sollen als Beispiel dienen, wie Malle durch den Einsatz von Sound-Effekten abermals die Hörperspektive aus Sicht der Fahrer präsentiert: In Segment 18 nimmt der Kollabierte die Stimmen der Umstehenden wie ein Echo wahr, und in Segment 21 werden die quietschenden Bremsen bei der Bergabfahrt übermäßig laut dargestellt. Nachdem die Berge durch ein majestätisches Intro, welches vor dem an dieser Stelle langsam gespielten Musette-Walzer montiert wird, vertont werden, endet der Film mit einer Akkordeon-Solophrase, die auf einem f schließt. Dieses hat in b-moll dominantischen Charakter, womit das Ende als musikalisches ›Fragezeichen‹ bezeichnet werden könnte. Die Tonspur endet somit phänomenologisch kontrapunktierend zu den Bildern, die bereits die Siegerehrung zeigen, welche sich jedoch als Schimäre im Kopf des Athleten entpuppt.
In dem Cahiers-Interview zu Calcutta bringt Louis Malle den Film Vive le tour! mit dem Begriff cinéma direct in Verbindung.391
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