- 158 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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point d’écoute:388
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Vgl. Chion, Michel: L’audio-vision. Son et image au cinéma. Paris: Nathan 2000, S. 79 ff. (›Hörperspektive‹)
Während die Fahrgeräusche der vorbeirasenden Räder zunächst aus der Sicht der am Rande stehenden Zuschauer eingefangen werden, ändern sich sowohl visuelle als auch auditive Perspektive, wenn die unscharf vorbeihuschende Menge und die konstante Geräuschkulisse der Zuschauer aus Sicht des Fahrers montiert werden. Schließlich unterstützt auch der Off-Kommentar diesen Wechsel, indem er die Perspektive der Fahrer thematisiert:

»Du peloton, on ne voit pas la foule non plus, hein? Les coureurs se disent, je vois ma mère, je vois ma femme, je vois ma tante, mais ils ne voient rien du tout. Mais ils entendent, ça ils entendent alors, parce que la foule, ça fait un bruit fantastique, même dans le peloton.«389

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»Vom Hauptfeld aus sieht man auch nicht die Menge, nicht wahr? Die Fahrer sagen sich, ich sehe meine Mutter, meine Frau, meine Tante, aber sie sehen gar nichts. Aber sie hören, jawohl, das hören sie! Denn die Menge macht einen fantastischen Krach, der auch im Hauptfeld gehört wird.«

Diese ersten Beobachtungen belegen, dass Malle das Rennen mit dem subjektiven Enthusiasmus präsentiert, den er selbst dafür empfindet. Geräusch und Off-Kommentar haben den Anschein einer Live-Übertragung; vor allem die kennerhaften, umgangssprachlichen Hinweise des Kommentators (offensichtlich ein Ex-Profi bzw. kompetenter Spezialist) erinnern an eine Reportage. Gleichzeitig fängt Malle die (bereits damals fortgeschrittene) Kommerzialisierung der Tour durch das Aneinanderreihen der Werbesymbole und -fahrzeuge und die grotesken Geräusche, die diese erzeugen, ein. In diesen ersten Momenten sind die Reklameautos die eigentliche Hauptattraktion.

Nach einer Darstellung der Begleitmotorradfahrer (die laut Off-Kommentar »auch zur Familie gehören«) zeigt Malle die Essensverteilung. Die verteilten Proviantbeutel heißen auf französisch musette – ein Wort mit Doppelbedeutung, denn in diesem Segment montiert Malle einen Musette-Walzer mit dem für ihn typischen Akkordeonklang. Durch die Musik erscheint die gefährliche Akrobatik des Essens während der Fahrt wie eine leichte Zirkusnummer, während die Off-Stimme in pseudo-wissenschaftlichem Ton über die Notwendigkeit und die Zusammensetzung des Essens aufklärt. Das folgende Segment ›Chasse à la canette‹ zeigt, wie die Athleten sich in einer Bar am Straßenrand mit zusätzlichen Getränken versorgen – gerade aus heutiger Sicht des bis ins Detail organisierten Leistungssports inklusive ausgeklügelter Ernährungsprogramme eine amüsante Episode, da die Sportler auch vor alkoholischen Getränken nicht Halt machen. Erneut wird die Stimmung durch die Musik gekennzeichnet; die Posaunenphrase des Walzers verwandelt den harten Kampf mit dem Flüssigkeitsverlust und der Hitze in ein scheinbar müheloses Spiel – die Tour erinnert an dieser Stelle an einen Ausflug von Freunden, unter denen Kameradschaft groß geschrieben wird.

Dieser Eindruck ändert sich jedoch im nächsten Segment, wenn deutlich wird, dass das Gros der Fahrer letztendlich nur begleitende Marionetten und Wasserträger für die wenigen Champions der einzelnen Teams ist, die zu einem Schlussspurt ansetzen. Die anschließenden Kommentare der Fahrer nach der Zieleinfahrt belegen


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