denen die Klangquelle jedoch außerhalb der Leinwand liegt
(hors-champ371
Vgl. Chion (1985), S. 25 ff.
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)
oder die Musik extern montiert ist, wird eine Zuordnung schwierig. Somit kann auch
nicht geklärt werden, ob eine Musik eher der Kunstmusik oder der Volksmusik
zuzuordnen wäre. Kuckertz schreibt zur letzteren:
»Im Gesamtrepertoire Indiens spielt die vom Laiengesang bis zur professionellen
Ensemble-Darbietung reichende Volksmusik einschließlich des Volksschauspiels
eine bedeutsame Rolle. Zu allen nur denkbaren Gelegenheiten im Leben des
Menschen sind überall in Indien einstimmige Gesänge bekannt. So singen
die Frauen bei ihren Tätigkeiten im Inneren des Hauses, die Männer zur
Arbeit mit den Tieren beim Pflügen, Wasserschöpfen und Ernten, Männer
und Frauen zusammen zur Erholung nach der Tagesarbeit, zu Feiern und
Festen im Jahreskreis und im Lebenskreis jedes Menschen.«372
Demnach ließe sich eine Vielzahl der Stücke in der Serie L’Inde fantôme zur
Volksmusik zuordnen. Als ein Beispiel kann hier ein Segment aus dem vierten Teil
von L’Inde fantôme: La tentation du rêve angeführt werden (0:14:00–0:16:16).
Während Arbeiter die Schienen nach einem Zugunglück instand setzen, stimmen sie
einen Gesang nach dem call-and-response-Prinzip an (Vorsänger/antwortende
Menge).
Anders verhält es sich im Film Calcutta. Zwei Takes könnte man beispielsweise als
Loka-Samgita bezeichnen (Gesang mit Laute auf der Straße bei 0:11:27 und Flötenspiel
bei 1:10:42), während an anderen Stellen des Films häufig Musik aus dem Radio zu
vernehmen ist (Filmmelodien im ›Mouroir‹ bei 0:13:45, Radiomusik im Slum bei 1:22:47).
Diese Tonbeispiele manifestieren die Entwicklung und den Stellenwert der (von den
Massenmedien abhängigen und als Gebrauchsartikel zur Massenproduktion gehörenden)
populären Musik Indiens, die eine dynamische Mischung aus einheimischen und fremden
Einflüssen konstituiert und seit dem frühen 20. Jahrhundert große Popularität erlangt
hat.373
Vgl. Manuel, Peter: »Popularmusik«. In: »Indien«. In: Finscher (1997), Bd. 4, S. 741–743
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Hierbei ist vor allem die enge Verflechtung dieser Musik mit
der Filmbranche zu erwähnen, in der das Musical als Gattung
vorherrscht.374
Vgl. auch die Aufnahmen Malles in den Filmstudios im zweiten Teil von L’Inde fantôme:
Choses vues à Madras.
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Der westliche Einfluss auf die Musik und die Kultur Indiens, der vor allem seit den
70er-Jahren des 20. Jahrhunderts in den Vordergrund getreten ist, wird besonders bei
der Hochzeit der bürgerlichen Familie deutlich (ab 0:54:04). Die Hochzeitsmusiker
vermengen indische Perkussion mit Pariser Musette-Klängen vom Akkordeon, während
die Zeremonie nach strengen indischen Bräuchen abläuft. Malle im Off-Kommentar: »Ce
mariage dans une famille bourgeoise melange les traditions les plus strictes et des
influences occidentales. Un accordéon musette jouera toute la nuit pour les
invités.«375
»Diese Hochzeit in einer bürgerlichen Familie vermengt die strengsten Traditionen mit
westlichen Einflüssen. Ein Musette-Akkordeon spielt den ganzen Abend für die Gäste.«
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Es wird deutlich, dass Malle in Calcutta die Musik in den seltensten Fällen ihrer selbst
wegen filmt und montiert, sondern sie immer als akustische Kulisse bzw.
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