- 153 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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denen die Klangquelle jedoch außerhalb der Leinwand liegt (hors-champ371
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Vgl. Chion (1985), S. 25 ff.
) oder die Musik extern montiert ist, wird eine Zuordnung schwierig. Somit kann auch nicht geklärt werden, ob eine Musik eher der Kunstmusik oder der Volksmusik zuzuordnen wäre. Kuckertz schreibt zur letzteren:

»Im Gesamtrepertoire Indiens spielt die vom Laiengesang bis zur professionellen Ensemble-Darbietung reichende Volksmusik einschließlich des Volksschauspiels eine bedeutsame Rolle. Zu allen nur denkbaren Gelegenheiten im Leben des Menschen sind überall in Indien einstimmige Gesänge bekannt. So singen die Frauen bei ihren Tätigkeiten im Inneren des Hauses, die Männer zur Arbeit mit den Tieren beim Pflügen, Wasserschöpfen und Ernten, Männer und Frauen zusammen zur Erholung nach der Tagesarbeit, zu Feiern und Festen im Jahreskreis und im Lebenskreis jedes Menschen.«372

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Kuckertz (1981), S. 43

Demnach ließe sich eine Vielzahl der Stücke in der Serie L’Inde fantôme zur Volksmusik zuordnen. Als ein Beispiel kann hier ein Segment aus dem vierten Teil von L’Inde fantôme: La tentation du rêve angeführt werden (0:14:00–0:16:16). Während Arbeiter die Schienen nach einem Zugunglück instand setzen, stimmen sie einen Gesang nach dem call-and-response-Prinzip an (Vorsänger/antwortende Menge).

Anders verhält es sich im Film Calcutta. Zwei Takes könnte man beispielsweise als Loka-Samgita bezeichnen (Gesang mit Laute auf der Straße bei 0:11:27 und Flötenspiel bei 1:10:42), während an anderen Stellen des Films häufig Musik aus dem Radio zu vernehmen ist (Filmmelodien im ›Mouroir‹ bei 0:13:45, Radiomusik im Slum bei 1:22:47). Diese Tonbeispiele manifestieren die Entwicklung und den Stellenwert der (von den Massenmedien abhängigen und als Gebrauchsartikel zur Massenproduktion gehörenden) populären Musik Indiens, die eine dynamische Mischung aus einheimischen und fremden Einflüssen konstituiert und seit dem frühen 20. Jahrhundert große Popularität erlangt hat.373

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Vgl. Manuel, Peter: »Popularmusik«. In: »Indien«. In: Finscher (1997), Bd. 4, S. 741–743
Hierbei ist vor allem die enge Verflechtung dieser Musik mit der Filmbranche zu erwähnen, in der das Musical als Gattung vorherrscht.374
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Vgl. auch die Aufnahmen Malles in den Filmstudios im zweiten Teil von L’Inde fantôme: Choses vues à Madras.
Der westliche Einfluss auf die Musik und die Kultur Indiens, der vor allem seit den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts in den Vordergrund getreten ist, wird besonders bei der Hochzeit der bürgerlichen Familie deutlich (ab 0:54:04). Die Hochzeitsmusiker vermengen indische Perkussion mit Pariser Musette-Klängen vom Akkordeon, während die Zeremonie nach strengen indischen Bräuchen abläuft. Malle im Off-Kommentar: »Ce mariage dans une famille bourgeoise melange les traditions les plus strictes et des influences occidentales. Un accordéon musette jouera toute la nuit pour les invités.«375
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»Diese Hochzeit in einer bürgerlichen Familie vermengt die strengsten Traditionen mit westlichen Einflüssen. Ein Musette-Akkordeon spielt den ganzen Abend für die Gäste.«

Es wird deutlich, dass Malle in Calcutta die Musik in den seltensten Fällen ihrer selbst wegen filmt und montiert, sondern sie immer als akustische Kulisse bzw.


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