au coeur und Les Amants eine
tragende Rolle spielen. Gerade zu letzterem Film drängt sich ein Vergleich auf, da der
Auslöser für die eigentliche Handlung in beiden Fällen ein Blickkontakt ist. Während in
Les Amants der Off-Kommentar dem Zuschauer mitteilt »L’amour peut naître d’un
regard«,307
»Die Liebe kann aus einem Augenblick entstehen.«
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bedarf es dieses Hinweises in Damage nicht mehr. Eindeutig genug sind die Blicke,
die sich Stephen und Anna bei ihrem ersten Zusammentreffen zuwerfen (vgl.
Segment 7). Bereits von diesem Zeitpunkt an wird der Ausgang vorskizziert: »Er
[Malle] läßt in keiner Sekunde Zweifel aufkommen, daß ein Preis zu zahlen sein
wird.«308
Messias, Hans: »Verhängnis«. In: Film-Dienst 26 (22. 12. 1992), Kritik Nr. 29975
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Und anstelle romantisch verklärtem Liebesidyll in monddurchfluteter Parkanlage
(Les Amants) gestaltet Malle die Affäre in Damage als (nahezu) rein sexuelle
Triebbefriedigung, als nackte Obsession. In einem Punkt stimmen die unterschiedlich
gestalteten Beziehungen dennoch überein. In beiden Fällen erfährt der Protagonist
(Jeanne bzw. Stephen) völlig neue Einblicke und Erkenntnisse in seine Gefühlswelt. Ist es
bei Jeanne unter anderem die körperliche Liebe, die sie entdeckt, so wird Stephen zum
ersten Mal mit einer Leidenschaft konfrontiert, die er noch nie in seinem Leben
gespürt hat und für die er bereit ist, sein bisheriges Leben samt Status und
Familie aufs Spiel zu setzen. Auch wenn Stephen laut Marli Feldvoß »merkwürdig
hintergrundlos«309
Feldvoß, Marli: »Verhängnis«. In: epd-Film 1/93, S. 42 f., hier S. 42
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bleibt, so lässt sich doch in einigen Szenen erkennen, dass sein Sohn sich emotional von
ihm distanziert und ihm mangelnde Elternwärme vorwirft, und wie präzise, perfekt und
emotionslos sich sein Leben gestaltet: Umringt von seinen Beratern, seiner Sekretärin
und seinem Chauffeur hat er beruflich und privat alles erreicht; dennoch wird ihm
bewusst, dass das Leben nicht vollständig ›kontrollierbar‹ ist, wie er es seinem Sohn
beim Besuch in der Redaktion mitzuteilen versucht.
In diesen Abschnitten gestaltet sich der Film wie eine Gesellschaftsstudie
des englischen Großbürgertums, in der Malle den von Verpflichtungen
und Etikette geprägten Alltag »dieser reichlich spießigen englischen
Familie«310
Louis Malle in French (1998), S. 270
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präsentiert. Trotz des leidenschaftlichen Sujets wirkt die Inszenierung auf visueller
Ebene an manchen Stellen recht unbeteiligt, wie Feldvoß kritisiert: »[. . . ] da
stört die erotische Sachlichkeit, die befremdliche Kälte, eine Liebesmechanik
ohne Entwicklung, ein gewisses Desinteresse an dem, was doch Mittelpunkt
ist.«311
Dennoch ist dieses ein Merkmal, das sich in mehreren Filmen des Regisseurs
wiederfinden lässt. So verfilmt Malle auch dieses Tabu wie schon in Lacombe Lucien und
Pretty Baby auf analytisch nüchterne Weise.
Der Handlungsaufbau erinnert an die klassische
Tragödie,312
Vgl. Louis Malle in French (1998), S. 268: »Das Drehbuch hat eine hohe dramatische Qualität;
in gewisser Weise ist es eine klassische Tragödie.«
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ein Schema, welches man nicht häufig auf die Filme Malles anlegen kann. Nach einer
kurzen Exposition (SQ 1–2), die alle wesentlichen Personen vorstellt und bereits erste
Vorausahnungen provoziert, setzt die Steigerung ein, die sich über die Sequenzen 3–14
erstreckt. Als Höhepunkt oder Wendepunkt I fungiert Segment 14, in welchem Annas
Mutter Stephen warnt, der daraufhin in der fallenden Handlung (SQ 15) sein Verhalten
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