- 124 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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folgender stimmiger Zusammenhang erstellen: Claire entlarvt ihre Verwandtschaft als clowneske Showartisten und zwar in erster Linie Pierre-Alain. Dessen Angeberei vor den etwas naiven Frauen wirkt wie das aufgeblasene, großspurige Auftreten eines Clowns, die Heldentaten im Straßenkampf mutieren zur Lachnummer. Dieser Aspekt wird noch dadurch verstärkt, dass die ersten zehn Takte des Stücks wie eine Einleitung, wie das Aufziehen des Vorhangs wirken, ehe erst in Takt 13 der Blick auf die Attraktion, den Clown Pierre-Alain, freigegeben wird (Schnitt). Durch diese subtile musikalische Botschaft macht Claire ihrem Ärger Luft und versucht durch die Demaskierung Pierre-Alains ihre Freundin zurückzugewinnen.

Gleichzeitig entlarvt sie indirekt auch einige der anderen Familienmitglieder ihrer Falschheit. Vor allem Camille und Georges erscheinen in einem ironischen Blickwinkel: beispielsweise wenn Adèle die bigotte Camille auf die Gefahren und die Sicherheit der Antibabypille anspricht und diese nur ausweichende Antworten gibt, warum sie zögere, sie zu nehmen. Georges wirkt in dieser Szene ebenfalls wie ein Clown, der sich in seinem Liegestuhl rekelt, immer wieder englische Wörter und Phrasen in seine Sätze einbauen muss (»What a day!«) und den wichtigen Korrespondenten mimt, allerdings bis zum Schluss verschweigt, dass er beruflich gescheitert ist (bemerkenswert, dass die zur Schau getragene Anglophilie mit dem Porträt des amerikanischen Clowns korrespondiert!). Dennoch scheint keine der Personen das Zitat zu erkennen, sowohl Camille als auch Georges stehen ratlos vor der spielenden Claire. Auch vom Filmbetrachter muss diese Botschaft dechiffriert werden, ansonsten wirkt lediglich der Cakewalk-Gestus des Stückes wie ein ironischer Kontrapunkt zu Claires Stimmungslage.

Im zweiten Fall, der Mozart-Arie, wird die Musik nicht bewusst zur Kommentierung von Personen eingesetzt, sondern sie erfüllt diese Funktion unwillkürlich gegen die Interpretin selbst. Um die inhaltlichen Entsprechungen aufzuzeigen, sei kurz auf die Rolle des Cherubino in der Oper Le nozze di Figaro hingewiesen.

Cherubino beschreibt in seiner Arie das pubertäre Empfinden von Verliebtsein. Er fungiert in der Oper als erotisches Zentrum und übt sowohl auf die Gräfin als auch auf Susanna eine Anziehung aus. Cherubino, auf der Schwelle zwischen Kindheit und Erwachsenenalter, ist das »Sprachrohr für ungehemmte Äußerungen pubertärer Leidenschaft«,297

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Holland, Dietmar: »›Was in unseren Zeiten nicht erlaubt ist, gesagt zu werden, wird gesungen‹. Zur subtilen Sozialkritik in Mozarts ›Le nozze di Figaro‹«. In: Csampai, Attila/Holland, Dietmar (Hrsg.): Die Hochzeit des Figaro. Texte, Materialien, Kommentare. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1982, S. 9–29, hier S. 15
wie Dietmar Holland es formuliert. Aufgrund seines Alters wird ihm die Gefühlsverwirrung nicht angelastet (er ist gewissermaßen in alle Frauen des Schlosses verliebt). Im Gegenteil ist der charmante Jüngling bei allen beliebt. In der Oper trägt Cherubino die Arie als ein eigenes Lied vor, begleitet von Susanna auf der Gitarre.

Die Musik erklingt im Film zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Spannungen zwischen den Familienmitgliedern gelockert haben. Nachdem man den Tag gemeinsam im Freien verbracht und über die Revolution philosophiert hat, trifft man sich nun des abends zu einer musikalischen Soirée im Salon. Bereits einige äußere Umstände lassen Parallelen zwischen Film- und Opernhandlung deutlich werden: eine gewisse erotische Ausgelassenheit im ›Beziehungskarussell‹ der Personen, da sich im Laufe


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