Studentenunruhen spielenden Film Milou en mai weniger durch die Erinnerungen an die
Ereignisse vom Mai 1968 als vielmehr durch die Idee, die Geschichte einer Familie in
einem Landhaus im Süden Frankreichs zu erzählen. Dieser Aspekt scheint nicht
unwichtig, da in Rezensionen über das Werk der Schwerpunkt auf die historische
Entwicklung des Jahres 1968 gelegt wird.
Der sechzigjährige Witwer Emile Vieuzac, Milou genannt, der mit seiner Mutter in einem Landhaus in Südfrankreich lebt, ruft nach deren Tod seine Verwandtschaft zur Beerdigung zusammen: seinen Bruder George, Journalist für Le Monde, und dessen Frau Lily, seine katholisch-reaktionäre Tochter Camille mit ihrem Mann und Kindern, seine Nichte Claire mit ihrer Liebhaberin Marie-Laure sowie seinen Neffen Pierre-Alain aus Paris, Georges’ Sohn. Es ist Mai 1968, die öffentlichen Verkehrsmittel werden bestreikt und das Benzin wird knapp; so kommt Pierre-Alain beispielsweise per Anhalter mit dem Lastwagenfahrer Grimaldi, der seine spanischen Tomaten nicht in Paris abliefern konnte. Die Eröffnung des Testaments birgt eine Überraschung: Die Hausangestellte Adèle erbt ein Viertel des Besitzes. Die streikenden Totengräber machen eine Bestattung unmöglich, so dass man beschließt, die Tote auf dem Grundstück zu begraben. Durch die Sonne und den Wein verfliegen allmählich anfängliche Streitereien, man isst, redet und trinkt miteinander und schmiedet revolutionäre Pläne. Am Ende des Tages folgt die Ernüchterung: Das benachbarte Ehepaar Boutelleau berichtet von der Flucht de Gaulles und verkündet, dass die Revolution bevorstehe. Von Panik gepackt flüchtet man in den Wald, wo die Familie in einer Grotte Unterschlupf findet. Am nächsten Morgen ist die alte Ordnung jedoch wieder hergestellt, so dass Mme Vieuzac endlich begraben werden kann und die Trauergäste abreisen. In der Schlussszene tanzt der allein zurückgebliebene Milou mit seiner Mutter. Die ›événements‹, die Ereignisse vom Mai 68, bilden lediglich die Rahmenhandlung, den Auslöser für die Verlängerung der Zusammenkunft der Familienmitglieder, die durch die Umstände gezwungen sind, vor Ort zu bleiben. Aus der Alltagsroutine gerissen, werden die Figuren mit einer unerwarteten Situation konfrontiert, »in der sie improvisieren und ihr ganzes Sein einer Prüfung unterziehen müssen«283
Die revolutionären Unruhen in Paris werden von Malle nicht als Bedrohung inszeniert, sondern als etwas Unwirkliches fernab der Handlung, beschrieben aus der Perspektive eines Regisseurs, der den harmlosen Ausgang der damaligen Situation durch die Wärme und sanfte Ironie der Darstellung ankündigt und somit die Krawallen entdramatisiert, eine Einschätzung, die Malle bereits 1968 zu vertreten pflegte, wohl wissend, dass die Revolte nur ein Strohfeuer sein sollte.284
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