- 40 -Enders, Bernd (Hrsg.): KlangArt-Kongreß 1993: Neue Musiktechnologie II 
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Wenn man in einer filmischen Montage zwei Einstellungen so zusammenbringen will, daß der Schnitt dem Betrachter als Schnitt nicht auffällt, der Fluß also nicht gestört wird, achtet man darauf, daß beim Einstellungswechsel zwei Fotogramme aufeinanderstoßen, in denen sich der Bildschwerpunkt an derselben Stelle befindet; das Auge des Betrachters, das sich an den Schwerpunkten orientiert, braucht dann nicht zu springen. Genau das hat Berg hier mit musikalischen Mitteln gemacht: der Orchestersatz steuert auf den Ton C hin, aus dem selben Ton C löst sich der Chor: das Ohr des Hörers kann verharren.

Die Übereinstimmung ist frappant. Bloß: besagt sie auch gleich, daß Berg sich dabei von filmischen Techniken habe beeinflussen lassen? Muß man nicht eher annehmen, daß Künste, deren A und O die Artikulation und Strukturierung von Zeit ist, von sich aus und unabhängig voneinander artikulatorische, strukturierende Verfahren ausbilden, die sich ähnlich sehen? Und daß in einer Epoche, in der die Zeitkunst Musik nicht mehr über funktionsharmonische Bezüge und Kadenzen Einschnitte setzen, gliedern, Schlüsse ausprägen kann und will, die Verfahren, die an deren Stelle treten, fast mit Notwendigkeit den Verfahren sich angleichen, die die verwandte Zeitkunst Film anwendet?

Ich lasse die Fragen als Fragen stehen. Nur soviel: nach dem Fall Weekend stimmt mich das Beispiel Wozzeck meinem Entwicklungsmodell gegenüber insgesamt eher mißtrauisch, zumal mir Helga de la Motte unlängst in Darmstadt zuflüsterte, man könnte dazu auch bei Edgard Varèse fündig werden; gewiß hat sich die Auseinandersetzung der Komponisten mit Medien und Medientechnologien auf qualitativ unterschiedlichen Niveaus vollzogen; von Stufen zu sprechen mag denn gestattet sein; daß sich die Stufen aber längs der Zeitachse zur Treppe anordnen, darf angezweifelt werden.

Genaueres zu formulieren verbietet sich für den Komplex Film/Fernsehen; es fehlen Untersuchungen, die erhellen würden, in welchem Ausmaß die Beschäftigung mit Film oder Fernsehen das Musikdenken einzelner Komponisten bestimmt (oder mitbestimmt) hat; solche Untersuchungen müßten im übrigen, soweit sie die jüngste Vergangenheit betreffen, Konzertstücke dieser Komponisten zu ihren Filmarbeiten in Beziehung setzen; weil aber spätestens ab 1970 Mediengeschichte, Technologiegeschichte und Musikgeschichte wieder auseinanderdrifteten, gab es lange Zeit für Komponisten kaum mehr Chancen, die Beschäftigung mit Film bis zur konkreten Filmarbeit voranzutreiben. Ob die vier Musiker, denen diese Chance heuer im Rahmen der Wittener Kammermusiktage geboten wurde, aus ihren Erfahrungen Schlüsse zu ziehen gedenken, und wenn ja: welche, bleibt abzuwarten.

Anders sieht es für den Komplex Tonträger/Radio aus: das Tonband bewährte sich reichlich drei Jahrzehnte lang unangefochten als das ideale Vollzugsorgan der für das 20. Jahrhundert fraglos zentralen Tendenz zur permanenten Ausweitung des Materialbereichs nicht nur in der Nachkriegsmusik (die Kombination von Tonband und Instrumenten bei Maderna, bei Varèse, bei Boulez und Pousseur, dann die zahlreichen


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