- 26 -Enders, Bernd (Hrsg.): KlangArt-Kongreß 1993: Neue Musiktechnologie II 
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ßige Speichern, Abrufen und Variieren von Daten, nicht mehr das Repertoire, sondern die Struktur von Systemen. Dieses Prozessieren von Daten, das bisher von der Notwendigkeit der Datenerwerbung gebremst war, heißt "Kreativität", und es ist daher mit einer wahren Explosion der menschlichen Kreativität zu rechnen.

Vilém Flusser, Gedächtnisse, in: Ars Electronica, Philosophien der

neuen Technologien, Berlin 1989, S. 42


Hörend komponierend entgeht der Komponist dem Problem, alle seine Ideen und ästhetischen Implikationen vorab in einer Metasprache in abstrakten Regeln formalisieren und formulieren zu müssen. Im Gegenteil kann er sogar direkt mit den Algorithmen, die er seinen kognitiven Strukturen ständig korrigierend anzupassen versucht, interagieren. Er macht so die künstliche Intelligenz zu seiner eigenen - und umgekehrt. Er arbeitet an einer virtuellen Maschine, die er sich nach seinen Bedürfnissen immer weiter umformt. Schon ist es nur noch ein ganz kleiner Schritt zur Vorstellung auch eines virtuellen Raumes: Der Musiker, der sich im Cyberspace bewegt und seine Elemente, Klänge, Mikro- und Makro-Strukturen visuell, haptisch und akustisch so manipuliert, daß sie seinen Vorstellungen entsprechen. Zu zweit oder mit mehreren im virtuellen Raum über Fernleitungen angeschlossen, kann er seine Musik demonstrieren oder sie zur weiteren Bearbeitung durch andere freigeben. Eine virtuelle Gruppenimprovisation im Cyberspace als ästhetisches Konzerterlebnis der Zukunft?

Diese neuen Entwicklungen üben eine große Faszination aus. Sie sind auch Bestandteil einer tiefen Krise, eines grundlegenden Paradigmenwechsels, in dem sich die westliche Welt (und damit die ganze...) befindet. Spätestens mit Etablierung der Chaostheorien (einhergehend mit den Thesen der Heisenbergschen Unschärferelation, Einsteins Relativitätstheorie oder den neuen Weltbildern Hawkings) in den Naturwissenschaften schwankten unser Weltbild, unsere Wertesysteme in ihren Grundfesten. Das bürgerliche Modell der Mathematisierung unbelebter Natur ist an sich selbst gescheitert. Wir erkennen, daß wir uns mit uns, mit "interessierender Natur" konfrontieren müssen, wollen wir nicht dem drohenden Untergang der menschlichen Zivilisation tatenlos zusehen.

So werden sich auch unsere Werkzeuge in Funktion und Gebrauch verändern. Computer als die Musikautomaten der Zukunft werden uns mit Simulationen, nahezu unbegrenzten Manipulationsangeboten am Realen tiefer eindringen lassen in unsere Gesellschaftlichkeit und uns somit mit Fragen nach unserer Wahrnehmung, nach Sinn und Verantwortung konfrontieren. Sie werden zu quasi-intelligenten Spiegeln ästhetischer Vergegenständlichung.


Wir erkennen, daß Objekt und Subjekt nicht absolute, sondern relativ zueinander faßbare Begriffe sind, und daß sie steigerungsfähig sind: immer objektivere Objekte und immer subjektivere Subjekte sind möglich. Aus dieser


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