sik. Allerdings läßt sich mit Hilfe dieser neuen
Möglichkeiten, miteinander Musik zu machen, eine neue, eine andere, eine spannende Ebene
erreichen.
Der Musiker, der weniger sich selbst darstellt, sondern durch das Aufeinanderzuspielen der Musik zu einem sinnlichen Ausdruck verhilft, der sich ganz in den Dienst einer kollektiven schöpferischen Arbeit stellt, verläßt seine Studioisolation, erlebt diesen Augenblick des Zusammenspiels, der über einen „Thrill“ weit hinausgeht. Es stellt sich nun die Frage, wie sich in der Zukunft der Umgang mit diesen neuen Kommunikationsformen darstellt, ohne daß Sinnlichkeit, Kontemplativität oder Emotionen verloren gehen. Workshops, wie wir sie traditionell von „gemeinsamen musizieren“ kennen, können als Grundlage für ein neues globales Musizieren gelten. Es werden im Netz während des Ereignisses Musikcommunities gebildet (gechatet). Diese Communities bilden dann ein Fenster des augenblicklichen musikalischen Geschehens. All dieses basiert z. B. auf dem bereits erwähnten Format MP3. Der eigentliche musikalische Vorgang kann in Form eines Rengas stattfinden. Unter Renga verstand man im alten China Kettengedichte. Vier oder fünf Dichter versammelten sich für einige Tage in einem Raum und erfanden gemeinsam ein Gedicht, in dem jeder Dichter unter den Augen der anderen, den nachfolgenden Vers schreiben mußte. Eine für jeden Kreativen schreckliche Vorstellung. Sozusagen choram Publico etwas Sinnvolles und dem Vorgänger Angemessenes zu dichten. Was bei den Chinesen das Renga, wird nun für den Musiker, im Internet die schöpferische Arbeit quasi unter den Augen der Communities und der Musiker, mit denen er an der Komposition arbeitet, sein können. Der Server, der beispielsweise in San Francisco sitzt, wird dadurch zum Zeremonienmeister, zum Koordinator, zum Dirigenten. Die Musiker spielen ihre Parts in den Computer. Die Musiken werden hin- und hergeschickt und verdichten sich mehr und mehr zu einem Werk. Die Videoübertragung sorgt für die visuelle Ebene, das Publikum (Community) begleitet diesen „Rengavorgang“ und kann mit in Aktionen einbezogen werden, beispielsweise durch Texte bis hin zur Computeranimation. Durch diese Gemeinsamkeit, durch die Beobachtung seiner kreativen Arbeit, wird der Musiker wieder gezwungen, seine rechte Gehirnhälfte stärker zu mobilisieren. Dadurch geraten technische Fragen mehr und mehr in den Hintergrund. Es entsteht eine neue musikalische Qualität, denn die Phänomenologie, die Kreativität werden das Konzentrieren zu einem künstlerischen Ereignis machen – nicht der Speicherplatz, der Computer. Die Phänomenologie des 20. Jahrhunderts klammert die Frage, ob es über die Phänomene hinaus etwas gibt, weitgehend aus, aber im Internet wird der Begriff Phänomenologie wieder sehr bedeutend und setzt neue Kreativität frei, gibt der Phantasie neue Impulse, benutzt das Internet als Kommunikator. Der Unterschied zwischen dem technischen Phänomen (Erscheinung) und der Idee (Komposition) verschwindet. Die musikalische Idee sollte die Einheit bilden, der künstlerische Umgang mit dem Internet dagegen mannigfaltig und neu, verstreut in Zeit und Raum, verschieden und dauernder Änderung unterworfen sein. Die eigentliche Wirklichkeit aber bleibt die Musik, eine gewachsene, dem Menschen zugehörige Wirklichkeit, die sich einem technischen Diktat nicht unterwerfen darf.
|