- 68 -Enders, Bernd / Stange-Elbe, Joachim (Hrsg.): Global Village - Global Brain - Global Music 
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des Netzes anklingt, ist ein soziales, ein kollektives Gedächtnis, das Verschaltungen tätigt, andere tilgt, wieder andere verfügbar macht und dabei flüchtige Gedächtnisspuren ins soziale Netz einzeichnet. Der ‚global-player‘, der im übrigen nicht nur in der Musik zu finden ist, ist im Grunde nur im Zusammenhang mit den anderen zu denken, sofern die Klangwelt der Netzmusik bedacht sein will. Denn nicht der einzelne Musikant verwirklicht musikalische Ideen, sondern die netzartige Beziehungsstruktur schreibt dafür verantwortlich.

Resrocket.com, das hier als Anlass genommen wurde, das Bewusstsein für die Kunst des Netzes zu bedenken, ist ein einzelner Knotenpunkt, um den nicht viel Aufhebens gemacht werden müsste, wenn sich hierin nur ein vereinzeltes Phänomen darstellen würde. Aber das ist schon längst nicht mehr der Fall, wie im Vorangegangenen schon angedeutet war. Andere Knotenpunkte, denen resrocket nicht unähnlich, mögen folgen oder existieren schon, wer will das schon wissen, und auch die große Anzahl musikalischer Links, welcher Art auch immer sie sein mögen, tragen zur polykontextual lesbaren Klanggestaltung und entsprechenden Bewusstseinsbildung bei. So entsteht ein komplexes Netzwerk von musikalischen Knotenpunkten, in dem schließlich an zahllosen lokalen wiewohl virtuellen Orten zu musizieren sein wird. Der Wert bei all dem Tun liegt stets im Dazwischen.

Immer wird das Verbundsystem mehr Möglichkeiten zur Vernetzung bieten als Beziehungen einzugehen sind. Wer als ‚global-player‘ hier die Vernetzung wagt, wird sich musikalisch ausdrücken, ohne im einzelnen genau wissen zu können, was an anderen Orten geschieht, und wird doch immer wieder – über ungewöhnliche Schleifen – bei seiner Arbeit mit überraschenden Ansichten anderer konfrontiert werden, die zur Inspiration anregen. Ein jeder Musiker verfolgt dabei lokal die eigene Idee, versucht auf die musikalischen Ideen anderer zu reagieren und sie den eigenen anzupassen und ist ferner darauf bedacht, das eigene Tun anschlussfähig zu halten. Über eine solche Vielfalt von Ereignissen, die in lokalen Knotenpunkten sich abspielen, mag – rückgekoppelt mit chaotisch anmutenden, verzweigten Netzverknüpfungen – sich eine unkontrollierte Resonanz ergeben, sodass hieraus sich ohne explizit Regel setzenden Komponisten quasi selbstverantwortlich und eigendynamisch ein neues musikalisches System zu entwickeln vermag. Auf diese Weise entsteht ein komplexes Miteinander, bei dem lokal motivierte Operationen im Zuge der vielfältigen Vernetzungen eine globale Musik erzeugen, an die niemand gedacht hat und die trotzdem ordentlich gebaut und regelgeleitet sein kann. Es ist so ein Netzwerk von Beziehungen, das statthat, das die vernetzten Einzelwillen zu einem recht eigenwilligen Ganzen fügen kann. Die Vernetzung und das kollektive Gedächtnis entwerfen den genialen Gedankenblitz, der schließlich auch in der Umwelt des Systems auf verschiedene Weisen assoziativ leuchten mag.

Sicher, an die Stelle des mit genialer Schaffenskraft versehenen Schöpfers tritt das soziale Gedächtnis, das sich eigendynamisch seine assoziativen Bahnungen schafft. Diese unbewusst verlaufende Schöpfungsarbeit aber zu bedauern wäre verfehlt, wenn man nur an Schönberg denkt, der einst sagte: „Wenn mehr geschieht als man sich denken kann, so kann das nur unbewußt geschehen.“33

33
Schönberg, zitiert nach: Rufer, Josef: Die Komposition mit zwölf Tönen. Kassel 1966, S. 18
Natürlich dachte Schönberg hier noch an die Instanz Mensch, die aus sich heraus gleichsam Fühlung zum Zeitgeist aufzunehmen versteht und erst im nachhinein reflexiv erkennt,

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