- 320 -Enders, Bernd / Stange-Elbe, Joachim (Hrsg.): Global Village - Global Brain - Global Music 
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Und als ich diesen Klang verlangsamte, klang er so:

Klangbeispiel: Ruf desselben Rabens
um mehrere Oktaven verlangsamt.

Verlangsamt erinnerte er mich an eine Trommel wie sie bei der Urbevölkerung der nordamerikanischen Westküste verwendet wird. Ich versuchte, indem ich einen kurzen Moment aus dem verlangsamten Rabenschrei ausschnitt, einen gleichmäßigen Trommelschlag zu erzeugen. Doch der Klang wollte sich mir einfach nicht fügen. Er verwandelte sich immer wieder in ein Schlagzeug, das mehr nach Elektronik als nach einem organisch erzeugten Geräusch klang. Schließlich kehrte ich zu dem ursprünglichen Rabenschrei zurück, hörte ihn mir noch mal genau an und beschloß, ihn in seiner verlangsamten Form so zu lassen wie er war, mit seinen unregelmäßigen Pulsen, dem natürlichen Crescendo und Decrescendo: ein Klang, der keine Trommel war, aber an eine erinnerte.

Hätte ich mich für den elektronisch klingenden, metronomhaften Trommelschlag entschieden, hätte sich das wie Ausbeutung angefühlt. Ich hätte den natürlichen, typischen Charakter des Rabenrufs zerstört, nur um ein Klangobjekt zu bekommen, das letztenendes überhaupt nichts mehr mir dem Ursprungsklang zu tun gehabt hätte.

Es stellte sich später heraus, als ich versuchte noch andere Rabenaufnahmen zu verlangsamen, daß sie nicht dasselbe Resultat erzeugten. Es war spezifisch diese eine Aufnahme mit diesem Schrei, dieser Entfernung zwischen Raben und Mikrophon, und der Akustik dieses spezifischen Waldstückes, die mir kompositorisch das gab, was mich tiefer in die Atmosphäre des Stückes hineinführte. Ich verstand durch den einen verlangsamten Rabenklang plötzlich, daß ich mit dieser Komposition ein klangliches Äquivalent des indianischen Totempfahls schaffen wollte. Da der Rabe ein bedeutendes Totemtier in der indianischen Mythologie ist, schien es mir angemessen, diesen Rabentrommelschlag als ein immerwiederkehrendes Klangmotiv in das Stück hineinzuflechten.

Der Zuhörer braucht diese Zusammenhänge nicht zu kennen, und trotzdem tragen sie zu dem Atmosphärischen in der Komposition bei. Man könnte deshalb vielleicht sagen, daß diese Zusammenhänge die ungespielten Töne des Stückes darstellen, die die Basis für die gespielten Töne sind.

Klangbeispiel: Beneath the Forest Floor (Auszug)

Ein Moment Stille

Mit Tonbandaufnahmen reißt man die Klänge zweifellos aus ihrem Zusammenhang heraus. Ist es, angesichts dieser Tatsache, überhaupt möglich, mit Umweltklängen so zu arbeiten, daß sie nicht zu zusammenhangslosen Klangobjekten werden, sondern, daß man Kompositionen mit ihnen schaffen kann, die unsere Klangerfahrung und unser Hörerlebnis zur Soundscape, zur Klangumwelt vertiefen können?

Das Mikrophon, das Aufnehmen von Klängen, verbindet uns mit dem Ort und mit dem Gefühl des Dabeiseins, mit dem Moment, mit der Gegenwart. Dieses Gefühl darf im Kompositionsprozeß nicht vergessen oder verwischt werden. Das genau


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