- 245 -Enders, Bernd / Stange-Elbe, Joachim (Hrsg.): Global Village - Global Brain - Global Music 
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„Ziemlich hohe Bedeutung, macht einen ziemlich großen Teil meines Lebens aus, würde ich sagen.“

Bei der Beantwortung der Zwischenfrage:

„Machst du selber Musik?“

kommt die Interviewpartnerin nach einigem Zögern auf den ihr zuteil gewordenen Klavierunterricht zu sprechen:

“Nein, kann ich leider nicht, also Klavier nur, aber ...[Ende des Satzes]“17

17
Tonbandprotokoll
.

Der ihr zu Teil gewordene Klavierunterricht schien ihrem emotionalen Anspruch an die Musik keineswegs entsprochen zu haben. Bezeichnenderweise wird Musizieren, wie es ihr vermittelt wurde, von ihr noch nicht einmal als Tätigkeit des „Musikmachens“ eingestuft.

Andererseits kann aber die Überwindung des maßgeblich dem 19. Jahrhundert entstammenden digitalen Denkens und die Wiederentdeckung von Relativitäten und damit kommunikativen Dimensionen beim Musizieren eine Offenbarung darstellen – wie etwa für Segiu Celibidache in seiner Ausbildung zum Dirigenten. Er berichtete gelegentlich das folgende Schlüsselerlebnis seiner Lehrzeit:

„Also was habe ich von Furtwängler gelernt? Der eine Gedanke, der mir alle Türen für mein ganzes Leben und für meine Untersuchung geöffnet hat, dieser eine Satz, als der junge Celibidache ihn gefragt hat: ,Meister, wie geht dieser Übergang in dieser Bruckner-Symphonie von dem da, wie macht man das, wie schnell und was schlagen Sie da?‘ sagte er:

,Wieso, wie schnell? Je nachdem, wie es klingt! Klingt es weich und tief und überall gleich, werde ich breiter. Klingt es trocken und flüchtig, muß ich schneller werden.‘

Das heißt, er ist auf das Hören eingestellt, auf das, was tatsächlich rauskommt, was tatsächlich mitspielt. Nicht auf eine Theorie. [MM=] 92, was ist 92 in der Berliner Philharmonie, was ist 92 in der Münchner Philharmonie und was sind 92 im Musikverein in Wien? Eine Idiotie!“18

18
Videoprotokoll

Die Überwindung des Metronoms, die Celibidache hier andeutet, besitzt Symbolcharakter für die Überwindung des Denkens in absoluten Kategorien, das die klassische Musikkultur seit ihrer Begründung in den Jahrzehnten nach 1800 (nicht zufällig gleichzeitig mit der Erfindung des Metronoms) auszeichnet. Es ist bezeichnend, daß dort, wo von der Befreiung vom digitalen Musizieren die Rede ist, gleichzeitig die Orientierungsebene in der Musik sich vom Auge auf das Ohr zurück verlagert, also die Klangsphäre wieder in den Vordergrund tritt.

Auch für C. Ph. E. Bach war der Klangeffekt entscheidendes Kriterium, wo er für ein analoges Verständnis bei der Ausführung von Manieren plädierte:

„Es müssen aber alle diese Manieren rund und dergestalt vorgetragen werden, daß man glauben sollte, man höre bloße simple Noten. Es gehört hierzu eine Freiheit, die alles sclavische und maschinenmäßige ausschließet. Aus der Seele muß man spielen, und nicht wie ein abgerichteter Vogel.“19

19
Carl Philipp Emanuel Bach: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen, Reprint Kassel 1994, S. 119.


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