- 126 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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Alban Berg ging es in den Analysen der Schönbergschen Werke viel mehr darum, elementare Tonverhältnisse neu zu erforschen und Intervallbeziehungen außerhalb harmonischer Relationen eine grundlegende musikalische Sinnstiftung zu geben. In der Zwölftontechnik sah Schönberg die Möglichkeit, motivisch-thematische Arbeit mit "Atonalität" innerhalb desselben Tonsatzes zu vereinigen. Allmählich entwickelte sich aus dem Spiel mit den Motiven eine Technik, in der Satzarten, wie beispielsweise die der Passacaglia, die zugrundelegende Kategorie nicht mehr als "Thema" bezeichnen, sondern als Tonfolge, die aus einem vorgegebenen größeren musikalischen Material abstrahiert worden ist. (Ähnlich wie in der barocken Passacaglia das Thema auch als eine Folge von unter Umständen variablen Akkordfolgen aufgefaßt werden kann.) Das "Auskomponieren" des Tonraumes in Schönbergs Werken wurde nicht nach traditionellen Mustern strukturiert, sondern steht als bloße Äußerung da, daß das vorhandene musikalische Material in allen diesen Formen dargestellt werden kann.


Die Gemeinsamkeiten in den Aufsätzen der "Schriftsteller" - oder "Sprachrohr"-Schüler beweisen, daß Schönberg sehr wohl bestrebt war, nicht nur eine vitale, monumentale "Neue Musik" zu komponieren, sondern auch seinen Schülern die Prinzipien seines musikalischen Gedankenganges zu vermitteln. Adornos Aufsatz über die "Orchesterstücke op. 16" dient nur als ein Beispiel von vielen, die beweisen, wie der unmittelbare Kreis um Schönberg sich abgesprochen hatte. Sie zeigen aber auch, wie weit die Beiträge der Schüler für Bergs eigene Analysen und Vorträge von Nutzen waren. Ebenfalls ist der Unterschied zwischen dem genialen Komponisten und dem Musikästhetiker an der Präsentation ersichtlich. Durch den Vergleich gewinnt man den Eindruck, daß Bergs Unterricht in Analyse durch die vielen Beispiele den Sachverhalt erhellt, wogegen Adornos sprachliche Formulierungen ihn eher verschleiert. Adorno ging jedoch vom philosophischen und musikästhetischen Standpunkt aus und erreichte einen vielleicht noch größeren Kreis von gebildeten Interessierten als Bergs Analysen, die sichtlich von einem "Handwerker" für den Praktiker - ob Interpret oder Kompositionsschüler - entstanden sind. Es ist auch eine Ironie des Schicksals, daß gerade Adornos Aufsätze über die "Lyrische Suite" - trotz genauer Kenntnis der Inspiration - das geheime Programm durch andere Formulierungen mit Absicht über Jahrzehnte verschleiert hat. Auch wenn viele Musikbeispiele angeführt werden, führt die Argumentation nicht - wie bei Berg - zu der kühnen "Conclusio", die aus präzisen, im Gesamtwerk begründeten analytischen Beispielen gebildet wird.


Zu Bergs Lebzeiten sandte Adorno seinem Lehrer einen Durchschlag von jedem Aufsatz und erläuterte seine Entstehung. Berg schrieb immer mit Begeisterung zurück und nach der Lektüre der Aufsätze mit einer tief empfundenen Dankbarkeit. Von Adornos Aufsatz über die "Sieben frühen Lieder" im Frühjahr 1928 war Berg so angetan, daß er seinem Schüler das Autograph eines der Lieder schenkte: "... vor allem ... ist mir Ihr Brief und das Manuskript die größte Freude gewesen." 5)


"Daß Ihnen mein Aufsatz und die ... über Sie darin gefallen, ist mir eine innige Freude." 6)


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