- 121 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (120)Nächste Seite (122) Letzte Seite (186)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 



Im vierten Lied, das ohne Taktart notiert wird, vermerkt Berg einen "ständig variierenden Puls." Nach Bergs Analyse ist Takt 1 in 5/4, Takt 2 in 2/4, Takt 3 in 3/4, Takt 4-6 in 2/4. Der Mittelteil - Takt 12-17 - ist in 5/8. Berg unterscheidet weiter in diesem Lied zwischen Rezitativ, das ohne rhythmische Bedeutung ist, und einer freien Taktzahl, die eine "musikalische Prosa" darstellt.


Berg vergleicht ferner Schönbergs "Vorgefühl" der "Orchesterlieder" op. 22 und Wagners Vorspiel zu "Tristan und Isolde". Das Tempo hängt von der kleinsten Mensuraleinheit, dem 1/32 ab, denn genauso wie bei Wagner liegt in den Mensuralfeldern das Geheimnis der ewigen Fortspinnung - oder in Bergs eigenen Worten "das Trägheitsgesetz". In Opus 22 führt Schönberg Wagners Kompositionsprozeß um einiges weiter: Berg meint, es sind "im Tristanvorspiel rund 1/2 Dutzend Notenwerte - zum Unterschied vom "Vorgefühl", wo in 27 langsamen Takten über 1 Dutzend Notenwerte in gleicher Wichtigkeit vorkommen - ohne Berücksichtigung der Synkopen. Wagners Kompositionstechnik wird von Schönberg weiterhin fortgesetzt, weil Schönberg durch die "großen Takte" den Begriff der Takteinheit "endgültig auflöst". 9)


Berg macht also jeweils in seinen Analysen auf verschiedene "kleinste Elemente" aufmerksam, seien diese eine charakteristische Akkordbildung, ein melodisches oder rhythmisches Motiv oder eine "Grundgestalt". Er ist aber dann bestrebt, wenn einmal die "kleinsten Elemente" nachgewiesen sind, eine "Stilentwicklung" innerhalb des Werkes festzulegen. Das Stichwort findet sich auch in Adornos Aufsatz. Von Berg mit Rotstift unterstrichen sind diese Sätze: "Nicht zufällig hatte vorher bereits die Durchführung die Sonate überflutet ... Zwar als Prinzip der Durchführung bleibt Schönbergs Technik der Variation erhalten ... alle musikalischen Phänomene stehen unter dem Zeichen der Unwiederholbarkeit schlechthin."


In den "Klavierstücken op. 11" behauptet Berg, daß eine "Stilentwicklung" stattgefunden hat, durch die neue, intensive Art und Weise, in der Schönberg ein Motiv verarbeitet und wiederholt. Dadurch entsteht bereits eine musikalische Form. Bergs Analyse der "George-Lieder op. 15" stellt einiges zur neuen Stilrichtung in Schönbergs Werken fest. Berg wollte nachweisen, daß Schönberg im einzelnen Lied die dreiteilige Liedform a-b-a und im ganzen den Balladenzyklus in ein neues Licht stellt. Zum Beispiel entsteht im ersten und im zweiten Lied durch die Wiederkehr der "Grundgestalt" am Schluß des Liedes eine dreiteilige Form, die nicht von harmonischen Prinzipien abhängig ist. Durch den ganzen Zyklus macht Berg in seiner Analyse darauf aufmerksam, daß die dreiteilige Liedform durch eine ganz neue "Verarbeitung" entsteht - nämlich durch die "Grundgestalt", die durch Dualtonalität und Metrik variiert wird (Vergl. folgende Seite).


Erste Seite (1) Vorherige Seite (120)Nächste Seite (122) Letzte Seite (186)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 121 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften