In zahlreichen Studien wurden Hinweise gefunden, dass im Gedächtnis wahrnehmungsanaloge
Spuren von Musik gespeichert werden können. Es wurde nachgewiesen, dass musikalische
Klangvorstellungen ziemlich präzise Informationen bezüglich Tempo, Tonhöhe,
melodischer und harmonischer Beziehungen sowie der Klangfarbe beinhalten (vgl. die
Zusammenstellungen bei Reisberg 1992 und Godøy & Jørgensen 2001). Darüberhinaus
zeigte sich, dass bei der Melodievorstellung und -wahrnehmung dieselben Hirnareale aktiv
sind (Beisteiner et al. 1994, Zatorre & Halpern 1993; Zatorre et al. 1996; Halpern & Zatorre
1999; Janata 2001a; 2001b). Die Vorstellung musikalischen Klangs kann demnach theoretisch
tatsächlich eine sensorische Qualität erreichen, die der Wahrnehmungserfahrung ähnlich ist.
Gemäß Dorsch (Psychologisches Wörterbuch) treten Vorstellungen in der Regel
jedoch in geringerer Schärfe und Deutlichkeit auf als Wahrnehmungen (vgl. 1998,
S. 937).
Ganz offensichtlich sind nicht nur Musiker in der Lage, Erinnerungen akustischer
Ereignisse aus dem Gedächtnis abzurufen, die zumindest einige Charakteristika mit der
ursprünglichen akustischen Erfahrung gemeinsam haben. Die Erinnerung des markanten
Klangs eines Sängers, eines Rock/Pop-Stückes, oder eines Klingeltons eines Mobiltelefons
stellen alle Beispiele für geläufige auditive Vorstellungen dar. In einer Umfrage unter 500
nicht-studentischen Erwachsenen konstatierte P. McKellar (1965), dass 93 % der Befragten
berichteten, in irgendeiner Form bereits die Erfahrung wahrnehmungsanaloger klanglicher
Vorstellungen gemacht zu haben. Eine Befragung von Marie Agnew (1922) zur Verbreitung
von Klangvorstellungen mit musikalischem Inhalt unter Musikern, Psychologen und Kindern
deutet ebenfalls darauf hin, dass jeder Mensch prinzipiell die Fähigkeit hat, Klang zu
imaginieren. Jedoch scheint die musikalische Klangvorstellung bei musikalischen Laien im
Vergleich zu Musikern »schwächer« oder »blasser« auszufallen. Dies wird durch die
Tatsache unterstützt, dass musikalisch wenig vorgebildete Menschen bei auditiven
Imaginationsaufgaben signifikant schlechter abschneiden als musikalisch gebildete (Aleman
et al. 2000).
Musikalische Klangvorstellung und »Inneres Singen«
Hinsichtlich des Zustandekommens, Abrufens oder Aufrechterhaltens musikalischer
Klangvorstellungen ist wenig bekannt. Kosslyn (1981) vertrat die Auffassung, dass
Vorstellungsbilder allgemein in einem internen analogen Arbeitsspeicher wie auf einem
Bildschirm aufgebaut werden und dann vom Wahrnehmungssystem in der gleichen Weise
verarbeitet werden wie Gegebenheiten der Außenwelt. Wie auch die obigen Zitate von
Henry Cowell sowie Rolf Inge Godøy und Harald Jørgensen zeigen, scheint man
generell davon auszugehen, dass es sich bei musikalischer Klangvorstellung um einen
auf Vorgängen im Gehirn beruhenden »rein geistigen Prozess« handelt. In einer
Untersuchung von N. Tan (1979) versuchten viele Probanden (Musiker und musikalische
Laien) sich diverse Tonhöhen mittels ›Repetition in Gedanken‹ zu merken bzw. im
Gedächtnis zu behalten. In diesem Zusammenhang tauchen in der musikpsychologischen
Literatur Begriffe wie »Inneres« bzw. »innerliches Singen«, »Innere Stimme« oder
»Subvokalisation« auf. Die
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