- 150 -Schmidt, Patrick L.: Interne Repräsentation musikalischer Strukturen 
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Die Nervenbahnen könnten als physiologisches Korrelat der Knüpfung eines Zusammenhangs zwischen der im Laufe des Lebens wiederholten Reizung spezifischer Sinnesrezeptoren mehrerer Sinnesorgane bei gleichen oder ähnlichen Ereignissen interpretiert werden. Musikbezogene Gedächtnisprozesse wären dann Teil einer multimodalen körperlichen Repräsentation und würden durch unmittelbare Beteiligung der entsprechenden Sinnesorgane zustande kommen. Jegliche Erinnerung/Vorstellung könnte dann durch eine tatsächliche Reizung von Sinnesrezeptoren erklärt werden, die – durch Umweltreize in Gang gesetzt – auch eine interne Erregung weiterer Sinnesorgane über das neuronale Netzwerk beinhaltet. So gehen musikalische Klangvorstellungen häufig mit visuellen Bildern, Gerüchen und Körperbewegungen einher oder können durch diese ausgelöst werden. Viele Melodien und Musikwerke lösen Stimmungen bzw. episodische Erinnerungen aus, die mit diesen Werken verbunden sind. Möglicherweise werden bestimmte Charakteristika der Musik wie Tonhöhe, Rhythmus oder bis zu einem gewissen Grad auch Klangfarbe motorisch enkodiert, da viele Musikstücke in Verbindung mit Gesang oder körperlicher Bewegung erlebt werden. Eine Auslösung solcher motorischer Programme könnte eine assoziative Stimulierung der normalerweise an der Hörwahrnehmung beteiligten Sinneszellen erwirken und somit analoge Inhalte der Klangvorstellung erklären. Alternativ könnte auch bereits das Hören von Musik über das im Laufe eines Lebens individuell strukturierte neuronale Netzwerk assoziativ die Sinnesrezeptoren anderer Sinnesorgane und des Muskelapparates intern reizen und dadurch je nach persönlicher Erfahrung unterschiedliche Vorstellungen hervorrufen.

Dieser Theorie zufolge entfiele ein separater Mechanismus zur Projektion innerer Vorstellungsbilder. Stattdessen wären die Rezeptoren der Sinnesorgane auch an den Wahrnehmungen ohne externe Reize beteiligt. Dies setzt sensorische Neurone voraus, die elektrische Impulse vom Kortex zu den Rezeptoren (zurück) übermitteln und diese reizen.

Die Theorie wird gestützt durch die Tatsache, dass:

  • bei elektrischer Reizung des primären somatosensorischen Kortex Sinnesempfindungen (Wärme, Kälte, Berührung, Schmerz und Empfindungen von Körperbewegungen) ausgelöst werden.
  • eine Fülle absteigender Nervenbahnen das gesamte Nervensystem von der Hirnrinde bis in das Rückenmark (bei manchen Sinnesorganen sogar bis in die Sensoren selbst) durchzieht (vgl. Birbaumer & Schmidt 2003, S. 317).
  • jeder Sinneskanal auch ohne von außen kommende Reize eine gewisse Spontanaktivität besitzt. (vgl. Birbaumer & Schmidt 2003, S. 319). Vielleicht sind diese Aktivitäten gar nicht so spontan, sondern hängen mit Denk-/Vorstellungsprozessen zusammen.
  • man bei deutlichen Vorstellungen das Gefühl hat, tatsächlich etwas z. B. mit den Augen oder Ohren wahrzunehmen.

Dieser – hier nur skizzierte – integrative Ansatz (siehe Abbildung 18.1 auf der nächsten Seite) unterscheidet sich von den im Theorieteil vorgestellten Modellen im wesentlichen dadurch, dass es zugrunde legt, dass Kognitionsvorgänge, wie Wahrnehmungen und Vorstellungen durch (periphere) Sinnesempfindungen zustande kommen und diese weitestgehend auf den selben automatisierten Reiz-Reaktions-Mechanismen beruhen. Das hieße, dass z. B. motorische Prozesse nicht nur im


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