- 351 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
  Erste Seite (2) Vorherige Seite (350)Nächste Seite (352) Letzte Seite (422)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

ein schnelles und flexibles Werkzeug dar, für den bereits in den 60er-Jahren erste Notationsalgorithmen entwickelt wurden.

Nach wie vor waren aber die Kenntnisse der Notensetzer erforderlich, denn die langsamen Rechner waren nicht in der Lage, die Arbeit eines solchen Experten vollständig zu ersetzen. Das gilt selbst noch für teure Notensatzprogramme, die heute für den heimischen PC erworben werden können. Ohne manuelle Nachbearbeitung sind die produzierten Resultate meist nahezu unbrauchbar. Die Ursache dafür liegt in den unzähligen Stichregeln, welche zum großen Teil nicht allgemeingültig schriftlich fixiert, sondern in der Literatur lediglich anhand ausgewählter Beispiele implizit beschrieben werden. Die von den Notenstechern auf Grundlage jahrelanger Erfahrungen via Augenmaß und persönlichem ästhetischen Empfinden optimierte notenschriftliche Orthographie kann bis zur heutigen Zeit nicht in all ihren Nuancen formal beschrieben werden. Genau dies wäre aber die Basis für ein Expertensystem, das den Verlagen die manuelle Bearbeitung des Notenbildes abnehmen soll. Besonders vielen kleinen Verlagen käme ein solches System sehr entgegen, da es diesen oft an detaillierten Kenntnissen über die Notenschrift fehlt, was sich in entsprechend unprofessionell wirkenden Resultaten niederschlägt.

Trotz vieler unterschiedlicher Ansätze der letzten Jahre, dem Computer die Kunst des Notensatzes beizubringen, ist eines unstrittig: Der Qualitätsmaßstab für das graphische Resultat ist und bleibt das gestochene Notenbild. Jede Abweichung von dieser Vorgabe wird nahezu von jedem Musiker als Diskrepanz erkannt und unter Umständen bei der Kaufentscheidung mit berücksichtigt. Demnach muß der Computer viele aus technischen Unzulänglichkeiten erdachte Maßnahmen der Notenstecher – wie das hängende, sitzende oder schneidende Fixieren der Balkenenden auf den Notenlinien – simulieren, um dem Vorbild möglichst nahe zu kommen (vgl. Gieseking, 175ff.). An dieser Aufgabe arbeiten verschiedene Musiker, Mathematiker und Informatiker. Ob allerdings jemals ein Programm entwickelt werden kann, das sämtliche Überlegungen und Entscheidungen eines menschlichen Notensetzers nachbildet, ist fraglich, denn »noch dem ältesten Stecher wird jede begonnene Arbeit zum neuen Problem und findet Krönung in ihrem guten Gelingen. [...] Unerschöpflich, überraschend und immer wieder neu sind die typographischen Darstellungsmöglichkeiten im Notenstich.« (Hader, 32, 62) Auch wenn heute die zur druckfertigen Aufbereitung einer Partitur anfallende Arbeit nicht mehr die eingangs zitierten körperlichen Auswirkungen zeigt, so werden wohl auch in den nächsten Jahren immer wieder Wissenschaftler und Ingenieure Überlegungen anstellen, den Einsatz menschlicher Arbeitskraft zu reduzieren bzw. zu verlagern. Es bleibt zu hoffen, daß auch weiterhin wie einst bei Gutenberg und Petrucci das ästhetische Erscheinungsbild des automatisch


Erste Seite (2) Vorherige Seite (350)Nächste Seite (352) Letzte Seite (422)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 351 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft