- 80 -Müßgens, Bernhard: Musik und Angst 
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Drei Frauenzimmer liefen aus der Reihe, denen ihre Herren folgten; die Unordnung wurde allgemein, und die Musik hörte auf.

(Goethe, Die Leiden des jungen Werther 25-28)


Details der Dichtung Goethes erinnern an den von Kerényi beschriebenen mythologischen Themenkreis. Beiläufiges tritt in den Vordergrund. Eine astralmythologische Andeutung ("da wir nun gar ans Walzen kamen und wie die Sphären umeinander herumrollten") stimmt zur Geschichte vom "Sonnenmann" und der "Mondfrau", Lottes Verteilung der Orangenstücke zum Geschenkmotiv im Sagenkreis der Hainuwele und die warnende Geste einer "vorbeifliegenden Tänzerin" an Bedrohung und Verrat durch eine tanzende gesellschaftliche Umgebung. Die Spirale als choreographische Grundfigur des Walzers und des Maro-Tanzes verbindet in beiden Fällen Leben und Tod in einem schwebenden, scheinbar zeit- und geschichtslosen Bewußtseinszustand. Goethes Lotte erscheint uns zu gleichen Teilen als Erbin der Hainuwele, der Persephone und der Ariadne. Infolge des mißglückten Mädchenraubes kommt bei Goethe anstelle der "Geraubten" der "Räuber" zu Tode.



1.2 Der Walzer in Mozarts Oper Don Giovanni


Ein weiteres Beispiel für den Zusammenhang von Walzer, Angst und Tod gibt Mozarts Oper Don Giovanni. Während der Entführung des Bauernmädchens Zerlina spielen drei Bühnenorchester die von Goethe geschilderten Tänze Menuett, Contretanz und Walzer. Die aristokratischen Gäste des Festes tanzen Menuett, Don Giovanni entführt Zerlina während ihrer Hochzeit mit Masetto zum Contretanz, und Don Giovannis Diener Leporello nötigt Masetto im Auftrag seines Herrn zum "Deutschen". Der soll ihn von der Verfolgung der Entführten abhalten. Wie im Hainuwele-Mythologem steht der "Spiraltanz" für moralische Korruption und drohendes Verbrechen an einer Jungfrauengestalt.

     Doch kommt es zwischen Zerlina und Don Juan nicht zum Letzten. Der Textdichter da Ponte stellt die moralische und soziale Rangordnung wieder her. Auf die Versöhnung zwischen Braut und Bräutigam läßt er, wie Theodor Wiesengrund Adorno 1952 in seiner "Huldigung an Zerlina" ausführt, "den Laternenschein beseelter Nähe" fallen: "Im Nachspiel von Mozarts Oper scheint die entzweite Menschheit selber versöhnt" (Adorno, "Huldigung an Zerlina" 34). Adorno erkennt die innere Verbindung zu Goethes Frühwerk, übersieht jedoch, daß Zerlina die Erbin der Persephone, der Ariadne und eines Mädchens der indonesischen Mythologie ist.


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