3.6 Labyrinth und Handlung, von Strindberg zu Schönberg
Sehen wir die Handlung des Dramas mit Musik opus 18 als Ausdruck subjektiver Erlebnisse und Befindlichkeiten, so wird die Einheit von Form und Inhalt in einem Gesamtkunstwerk deutlich, das wie kein anderes am Beginn des 20. Jahrhunderts von der Angst des einzelnen im Prozeß seiner Ich-Abgrenzung und Persönlichkeitsentwicklung handelt. Auf die spiegelsymmetrische Anlage der Handlung macht John C. Crawford 1974 aufmerksam. Crawford sieht Beziehungen zu Strindbergs Drama Nach Damaskus, das wie Schönbergs Glückliche Hand autobiographische Züge trägt. Schönberg und Strindberg gliedern die Handlungen ihrer Dramen in Stationen, die sich in rückläufiger Abfolge wiederholen (Die glückliche Hand 584-585). Dem "Unbekannten" in Strindbergs Nach Damaskus entspicht der Mann der Glücklichen Hand. Indessen ist ein direkter Einfluß Strindbergs auf Schönberg nicht wahrscheinlich. Nach Damaskus erscheint erst 1912 in deutscher Übersetzung, etwa zwei Jahre nach der Fertigstellung des Librettos zur Glücklichen Hand (Vgl. Mäckelmann, 27).
Die spiegelsymmetrische Anlage des Dramas von Arnold Schönberg verbindet Crawford mit Nietzsches Vorstellung von der ewigen Wiederkehr des Gleichen. Mäckelmann schlägt zur Veranschaulichung der Gliederung des Dramas den geschlossenen Kreis vor, der mit der Anfangsszene beginnt und bis zu ihr zurückreicht. Schönbergs Beschäftigung mit Strindbergs Jakob-Fragment und mit Balzacs Seraphita führt ihn zur dramatischen Anlage der Glücklichen Hand. Den Gedanken der Wiedergeburt entwickelt er insbesondere auf der Grundlage der Erzählung Balzacs und bettet ihn im Oratorium Die Jakobsleiter in die zwei Teile des Aufstiegs nach dem Tod und des Abstiegs ins neue Leben ein. In der Glücklichen Hand findet jener Gedanke im Kreislauf der Handlung seinen Ausdruck (Vgl. S. 64 sowie Mäckelmann, "Die glückliche Hand" 29)
Andererseits erscheint die Pendelbewegung mit extremen Bewegungsrichtungsänderungen charakteristisch für das Durchschreiten des Labyrinths. Die Umkehrpunkte der Bewegungsrichtung symbolisieren den Wechsel der seelischen Antriebsimpulse und die Umkehr der jeweils zuvor eingenommenen Perspektive im Prozeß der seelischen Reifung. Auf dem Weg ins Zentrum seiner seelischen Problematik engt sich der Bewegungsspielraum des Mannes wie im Labyrinth in charakteristischer Weise ein. Das Zentrum selbst ist der Ort des inneren Kampfes und der Entscheidung. Der Kampf mit den Arbeitern und das Klang-Licht-Crescendo repräsentieren jenen inneren Kampf mit den bisher nicht integrierten Persönlichkeitsanteilen
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