- 39 -Müßgens, Bernhard: Musik und Angst 
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2.5 Ästhetik des Augenblicks


Das der Überlieferung zufolge von Daidalos nach ägyptischem Vorbild kunstvoll erbaute kretische Labyrinth ist für Wörner Ausgangspunkt einer Reflexion auf Kunst als Spiegelbild des Lebens. Kunstwerke und die Einsamkeit des Menschen gehören zusammen. "Beide Vorstellungen sind identisch, sobald  das Leben, das Schicksal des Menschen im Leben, in seiner Unmittelbarkeit und Bedrohung aufgefaßt wird. Das Labyrinth bezeichnet die Ausweglosigkeit des menschlichen Daseins" (Wörner, "Schönbergs Erwartung" 93).

     Kunstwerke spiegeln zugleich das Rätselhafte und Labyrinthische des Daseins. Jedes Kunstwerk ist ein Labyrinth für sich und spiegelt das Sein in der ihm eigenen Weise. Die vom Künstler geschaffenen, dem Kunstwerk zugrundeliegenden Gesetzmäßigkeiten gleichen den Gängen des Labyrinths. Das Erkennen der Gesetzmäßigkeiten des Kunstwerks entspricht dem blitzartigen, vorübergehenden Erhellen des zuvor Undurchsichtigen. Licht bedeutet Erkenntnis und Aufklärung. Das Kunstwerk als Labyrinth will gleichsam in erhellender Erkenntnis durchschritten sein.

     Theodor Wiesengrund Adorno spricht in der Ästhetischen Theorie vom unaufhebbaren Rätselcharakter der Kunstwerke. Philosophische Einsichten sind für ihn historische Erfahrungen aufgrund physiognomischer Wahrnehmungen am Kunstwerk: Vorschein der Wahrheit von Kunst. Der Widerspruch, daß Kunstwerke etwas aussagen und es zugleich verbergen, deutet auf den Rätselcharakter der Künste unter dem Aspekt von Kunst als Sprache (Adorno, Ästhetische Theorie 182). Der Sprachaspekt der Künste eröffnet den Problemkreis des Verstehens von Kunst. Diese Aufgabe weist Adorno zurück. Der Rätselcharakter der Kunstwerke stellt nicht die Aufgabe, diese zu verstehen. Die Lösung des Rätsels bedeutet vielmehr, den Grund seiner Unlösbarkeit anzugeben (Ästhetische Theorie 184-185). Der Zweck des Kunstwerks ist die "Bestimmtheit des Unbestimmten" (Ästhetische Theorie 188).

     Kunstwerke sind nicht ihrer "Komposition, sondern ihrem Wahrheitsgehalt nach rätselhaft". Für Adorno sind sie Rätsel, da sie erscheinen, als hätten sie gelöst, "was am Dasein Rätsel ist ..." (Ästhetische Theorie 191-192). Das "Als wenn" steht für den negativen Wahrheitsgehalt der Werke: die Bestimmtheit des Unbestimmten. Kunstwerke sind, anders als Träume, von sich aus erkenntniskritisch. "Die Frage, mit der ein jegliches den aus sich entläßt, der es durchschritt - die: Was soll das alles?" geht über in die: "Ist es denn wahr? ..." (Ästhetische Theorie 192).


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