- 2 -Müßgens, Bernhard: Musik und Angst 
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Vorwort


Alle Formen der Musik, nicht erst die des Expressionismus, sind niedergeschlagene Inhalte. In ihnen überlebt was, sonst vergessen ist und unmittelbar nicht mehr zu reden vermag. Was einmal Zuflucht suchte bei der Form, besteht namenlos in deren Dauer. Die Formen der Kunst verzeichnen die Geschichte der Menschheit gerechter als die Dokumente. Keine Verhärtung der Form, die nicht als Negation des harten Lebens sich lesen ließe. Daß aber die Angst des Einsamen zum Kanon der ästhetischen Formensprache wird, verrät etwas vom Geheimnis der Einsamkeit. Der Vorwurf gegen den späten Individualismus der Kunst ist darum so armselig, weil er dessen gesellschaftliches Wesen verkennt. Die "einsame Rede" spricht mehr aus von der gesellschaftlichen Tendenz als die kommunikative. Schönberg ist auf den gesellschaftlichen Charakter der Einsamkeit gestoßen, indem er diese bis ins Extrem festhielt. Musikalisch ist das "Drama mit Musik" "Die glückliche Hand" vielleicht das Bedeutendste, was ihm gelang: der Traum eines Ganzen, darum nur um so stichhaltiger, weil er niemals als ganze Symphonie sich realisierte. Der Text, wie sehr auch unzulänglicher Notbehelf, ist doch von der Musik nicht loszureißen. Seine groben Verkürzungen sind es, welche der Musik die gedrängte Form diktieren und damit ihre Schlagkraft und Dichte. So ist es denn die Kritik eben dieser Grobheit des Textes, welche ins geschichtliche Zentrum der expressionistischen Musik führt. Subjekt ist der Strindbergisch Einsame, der erotisch die gleichen Versagungen erfährt wie in seiner Arbeit. Schönberg verschmäht es, ihn "sozialpsychologisch" aus der Industriegesellschaft zu erklären. Aber er hat notiert, wie die Subjekte und die industrielle Gesellschaft als perennierender Widerspruch aufeinander sich beziehen und kommunizieren durch Angst.

(Adorno, Philosophie der neuem Musik 47-48)


      Die Idee zu einer Musikästhetik der Angst geht auf einen Vortrag Frau Prof. Dr. Maria Elisabeth Brockhoffs zurück, den sie während des Symposions für Musik-, Tanz- und Kunsttherapie, von Herrn Prof. Dr. Dr. Karl Hörmann im Herbst 1988 im Rahmen der Musica in Hamburg durchgeführt, zum Thema "Musikanalyse und Psychoanalyse" hielt. In der folgenden Beschäftigung mit den Texten Sigmund Freuds wurde deutlich, daß die zahlreichen biographischen und kulturhistorischen Verbindungen zwischen der Entstehung der Psychoanalyse und der gleichzeitigen Entwicklung der Musik Arnold Schönbergs (noch dazu in der selben Stadt, im selben gesellschaftlichen und kulturellen Klima) den Rahmen selbst einer breit angelegten Monographie


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