- 179 -Müßgens, Bernhard: Musik und Angst 
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Der reprisenartigen Wiederholung des ersten Formabschnitts ist ein zehntaktiges, mit "tempo rubato" überschriebenes Zwischenspiel vorgelagert. In der B-Klarinette greift Szalonek auf Fanfarenmelodik zurück. An die "Reprise" schließt sich ab Takt 166 die zu einem triumphalen Höhepunkt sich entwickelnde Coda an. Sie zitiert den Choral Christ ist erstanden. Seine Melodie ist in der Bevölkerung Polens als Schlachtruf der Kreuzritter des Marienordens bekannt und soll nach Witold Szaloneks Absicht ihren ursprünglichen Sinn als strahlende Freude über die Auferstehung Christi zurückerhalten. Dennoch ist dem ersten Teil der Mala symfonia B-A-C-H der Ausdruck des Unheimlichen und Bedrohlichen eigen. Er entsteht durch geräuschhafte Instrumentation, den Klang geräuschhaft verfremdende Spielweise der Streicher, hohe Intervallspannungen, ostinate Gong- und Glockenschläge und durch eine an Fanfaren erinnernde Signalmelodik.

     Im zweiten, Szmery (Geräusche) überschriebenen Satz erhöhen die mit großem Bogendruck und mit Dämpfern unmittelbar am Steg spielenden geteilten Streicher den geräuschhaften Anteil der Komposition. Sie umkreisen kanonisch einsetzend das transponierte B-A-C-H Motiv (e-es-ges-f) und dessen transponierten Krebs (es-e-cis-d). Der sich rasch verdichtende, ab Takt neun bereits zehnstimmige Satz erreicht in Takt zehn den Spannungshöhepunkt. In Sechzehntelwerten rhythmisierte achtstimmiger Klavierakkorde knüpfen an den Mittelteil des ersten Satzes (Takt 90-156) an. Zwischen kürzer werdenden Abständen, die vom Geräusch der Streicher ausgefüllt werden, breitet sich das Glocken- und Gehmotiv der Klavierstimme aus. Sie beginnt im dreifachen Piano, steigert sich bis Takt 21 zum doppelten Forte und geht in rhythmischer Verdichtung in Sechzehnteltriolen mit jeweils abschließender Achtel über. Die Musik erinnert nun an eine zunehmend verzweifelte Flucht auf schwerem, morastigem Grund.

     Auf dem dynamischen Höhepunkt des Satzes stimmen die Streicher und Holzbläser die zehnstimmig harmonisierte Melodie der Einleitungstakte des zweiten Satzes an. Abschließend durchläuft das B-A-C-H-Motiv Holzbläser, Streicher und Solovioline. Der Spannungshöhepunkt ist überschritten. Schlagwerk, darunter Glocken, weichen in einen unendlichen und latent bedrohlichen Klangraum zurück. Welchen Gegenstand hat aber das Bedrohliche in Witold Szaloneks Kirchenglockenmusik? Ist eine Richtung des Gehens auf eine Gefahr oder von ihr fort zu erkennen?

     Über die Entstehung der Musica concertante per Violbasso e Orchestra, die der Komponist als "Vorläufer" zur Mala symfonia B-A-C-H betrachtet, äußerte er in einem Interview mit Rudolf Weber:


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