- 80 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (79)Nächste Seite (81) Letzte Seite (435)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Hartmut Fladt
Pierrot und die Folgen

1
1
Der Beitrag wurde – in weitgehend identischer Form – am 17. 11. 2001 als Vortrag in der Hochschule für Musik »Hanns Eisler« in Berlin während der Eisler-Tage gehalten; danach folgte eine experimentelle Pierrot-Aufführung des ECHO-Ensembles unter der Leitung von Konstantia Gourzi.

»Sie glauben gar nicht, wie berühmt ich hier bin«, schrieb Arnold Schönberg 1911 aus Berlin an seinen Wiener Verleger Hertzka von der Universal Edition. »Überall kennt man mich. Man erkennt mich nach meinen Bildern. Man kennt meine Biographie, meine Einzelheiten, weiß von meinen Skandalen und fast mehr als ich, der ich so etwas bald vergesse.« Wie schon bei seinem ersten Berlin-Aufenthalt 1901 bis 1903 war der Komponist den unerfreulichen Wiener Verhältnissen entflohen – auch den »Skandalen«, die ja nicht nur seine künstlerische Existenz und ihr Verhältnis zur Öffentlichkeit betroffen hatten, sondern auf existenziellste Weise auch die privaten Lebensverhältnisse, mit Ehekrise und dem Selbstmord des Malers Richard Gerstl – all das, wie wir wissen, mit erheblichen Auswirkungen auf die Selbst-Definition als Künstler.
Schönbergs Äußerung »der ich so etwas bald vergesse« indiziert zumindest eines: den Versuch der Verdrängung.

Der zweite Berlin-Aufenthalt brachte endlich materielle Sicherheit für die Familie, nicht nur wegen einer Konservatoriums-Lehrposition; der künstlerische – und für Schönberg und seine Musiker sogar finanzielle! – Erfolg der dutzenden Aufführungen des Pierrot lunaire stellte sich nicht TROTZ, sondern wohl auch WEGEN der »Skandale« ein. Eine Berlinische Sensation war etwas durchaus anderes als eine Wiener »Hetz«, und die Reaktionen der Komponisten-Kollegen, über den eigenen Schüler-Kreis hinaus, also etwa von Busoni, Stravinskij, Ravel, vermittelten eine substanzielle Form der Anerkennung.
Erst der erste Weltkrieg sorgte 1915 mit der Einberufung Schönbergs für ein Ende dieser Periode, in der u. a. die Riesenpartitur der Gurrelieder abgeschlossen wurde und Werke wie Herzgewächse (1911), Pierrot lunaire (1912), Die glückliche Hand (1913) entstanden.

Arnold Schönbergs Musik dieser Phase wagt sich weit vor in unbekanntes Terrain; sie ist, um Schönbergs eigene Terminologie zu verwenden, weitgehend atonikal (nicht »atonal«) mit emanzipierten Dissonanzen (die sich also von den Zwängen korrekter Vorbereitung und Auflösung emanzipieren), doch gibt es deutliche graduelle Unterschiede in der Klangdichte, und tonale Assoziationen


Erste Seite (1) Vorherige Seite (79)Nächste Seite (81) Letzte Seite (435)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 80 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben