Hartmut Fladt
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»Sie glauben gar nicht, wie berühmt ich hier bin«, schrieb Arnold Schönberg 1911 aus
Berlin an seinen Wiener Verleger Hertzka von der Universal Edition. Ȇberall kennt man
mich. Man erkennt mich nach meinen Bildern. Man kennt meine Biographie, meine
Einzelheiten, weiß von meinen Skandalen und fast mehr als ich, der ich so etwas bald
vergesse.« Wie schon bei seinem ersten Berlin-Aufenthalt 1901 bis 1903 war
der Komponist den unerfreulichen Wiener Verhältnissen entflohen – auch den
»Skandalen«, die ja nicht nur seine künstlerische Existenz und ihr Verhältnis zur
Öffentlichkeit betroffen hatten, sondern auf existenziellste Weise auch die privaten
Lebensverhältnisse, mit Ehekrise und dem Selbstmord des Malers Richard Gerstl – all
das, wie wir wissen, mit erheblichen Auswirkungen auf die Selbst-Definition als
Künstler.
Schönbergs Äußerung »der ich so etwas bald vergesse« indiziert zumindest eines: den
Versuch der Verdrängung.
Der zweite Berlin-Aufenthalt brachte endlich materielle Sicherheit für die Familie, nicht
nur wegen einer Konservatoriums-Lehrposition; der künstlerische – und für Schönberg
und seine Musiker sogar finanzielle! – Erfolg der dutzenden Aufführungen des Pierrot
lunaire stellte sich nicht TROTZ, sondern wohl auch WEGEN der »Skandale« ein. Eine
Berlinische Sensation war etwas durchaus anderes als eine Wiener »Hetz«, und die
Reaktionen der Komponisten-Kollegen, über den eigenen Schüler-Kreis hinaus, also
etwa von Busoni, Stravinskij, Ravel, vermittelten eine substanzielle Form der
Anerkennung.
Erst der erste Weltkrieg sorgte 1915 mit der Einberufung Schönbergs für ein Ende dieser
Periode, in der u. a. die Riesenpartitur der Gurrelieder abgeschlossen wurde und Werke
wie Herzgewächse (1911), Pierrot lunaire (1912), Die glückliche Hand (1913)
entstanden.
Arnold Schönbergs Musik dieser Phase wagt sich weit vor in unbekanntes Terrain; sie ist, um Schönbergs eigene Terminologie zu verwenden, weitgehend atonikal (nicht »atonal«) mit emanzipierten Dissonanzen (die sich also von den Zwängen korrekter Vorbereitung und Auflösung emanzipieren), doch gibt es deutliche graduelle Unterschiede in der Klangdichte, und tonale Assoziationen