Henze ein Romantiker? –
das ist offenbar eine rhetorische Frage. Rhetorische Fragen sind nicht dazu da
beantwortet zu werden. Entweder tragen sie ihre Antwort bereits in sich – zum Beispiel:
»Stammt der berühmteste Hochzeitsmarsch der musikalischen Weltliteratur
etwa nicht von Mendelssohn?«, oder aber sie sind absichtlich falsch gestellt –
zum Beispiel: »Ist Hans Werner Henze ein Romantiker des 20. Jahrhunderts?«
Antwortete man mit »Ja«, würde Henze zu einem um 200 Jahre verspäteten
Komponisten erklärt werden, was er nicht ist; antwortete man mit »Nein«,
würde man unterdrücken, daß Henze eine große Liebe zur Kunst, Literatur
und Musik der Romantik hegt. Gerade Felix Mendelssohn Bartholdy bedeutet
Henze sehr viel. Aus Anlaß der Mendelssohn-Festtage in Leipzig 1997 äußerte
er:
Für die deutsche Musik – was sage ich: für die Musik der Welt ist das
uvre Mendelssohns ein Ereignis besonderer Art, ein epochemachendes,
stilbildendes Beispiel. Was wir von Felix lernen können, das ist – neben
seinem wagemutigen gesellschafts- und kulturpolitischen Engagement –
die in seiner Musik so wesentliche, seine Musik auf besondere Weise
auszeichnende Anmut. Ich wiederhole das heute mit einem finsteren Tabu
versehene Wort, den verlorengegangenen Begriff »Anmut«. Ach wäre doch
etwas mehr von dieser »gratia«, dieser Grazie, dieser Anmut im Musikdenken
und -fühlen unserer Zeit noch vorhanden, irgendeine verblieben oder
nachgewachsen! Anmut, das setzt ein Gefühl für Maß voraus, auch ein Gefühl
für Maßstäbe, und virtuose Beherrschung der Formen, einen immer wieder
modernen, innovativ-kreativen Umgang mit diesen Formen und Gestalten,
Gegenständen
kulturellen Bewußtseins. Das sind doch erstrebenswerte Qualitäten, auch
für Künstler der heutigen Zeit, nicht zuletzt für die Komponisten unter
ihnen.1
Hans Werner Henze, Anmut setzt ein Gefühl für Maß voraus. Für Felix
Mendelssohn Bartholdy, in: Gewandhausmagazin 20, Leipzig Herbst 1998, S.
20–21.
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Diese Liebeserklärung Henzes gilt einem Komponisten, der fraglos zur Romantik gehört
(Henze spricht übrigens differenzierter von dem »klassizistisch-romantischen«
Mendelssohn2 ).
Was nun ist unter »Romantik« im allgemeinen zu verstehen? Diese Frage wirft Probleme
auf, die um so größer zu werden scheinen, je weiter wir von der romantischen Epoche
abrücken. Was zu Beginn des 19. Jahrhunderts, also zur ,Spielzeit‘ der Romantik, als
»romantisch« bezeichnet wurde, steht zum Teil quer zu heutigen Einteilungen und
Kategorisierungen. Wer würde zum Beispiel heute noch Haydn, Mozart und
Beethoven zu den Romantikern zählen? E. T. A. Hoffmann – selbst einer der
namhaftesten |