- 307 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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Hartmut Lück
. . . Auf keiner Stätte zu ruhn . . .
Hyperions Schicksalslied von Friedrich Hölderlin und seine Vertonungen

Obwohl die bis heute wohl bedeutendste Vertonung eines Gedichtes von Friedrich Hölderlin im 19. Jahrhundert entstand, ist dieser Dichter von den Komponisten recht eigentlich erst im 20. Jahrhundert entdeckt worden. Johannes Brahms’ 1871 entstandenes Schicksalslied für Chor und Orchester op. 54 ragt aus einer Musikepoche, für die Hölderlin nicht zu existieren schien, wie ein Monolith empor. Hölderlin ist zu seinen Lebzeiten von Komponisten praktisch nicht beachtet worden, was u. a. am Zeitgeschmack, aber auch an den kleinen Auflagen seiner Werke bzw. der Anthologien, in denen Werke von ihm erschienen, gelegen haben mag; die eine Ausnahme der beiden Hölderlin-Vertonungen (darunter auch von Hyperions Schicksalslied) durch den Schweizer Theodor Fröhlich (1803–1836) war den Zeitgenossen so gut wie unbekannt, weil das Werk nicht im Druck erschien und der Komponist jung verstarb. Aber auch in den Jahrzehnten nach Brahms blieben Hölderlin-Vertonungen rar. Erst das 20. Jahrhundert sah eine, dann auch gleich sprunghaft anwachsende Rezeption Hölderlins durch Komponisten, wozu die erste Gesamtausgabe seiner Dichtungen durch Norbert von Hellingrath (zwischen 1913 und 1923) einen sicherlich entscheidenden Anstoß gab.

Aber auch dann verlief die schöpferische Rezeption zunächst zwiespältig: der republikanisch-patriotische Geist vieler Dichtungen Hölderlins wurde zumeist von konservativ-nationalistischer Seite »vereinnahmt« und später dem Gedankengut des »Dritten Reiches« einverleibt; nur wenige erkannten die Nähe Hölderlins zum genau entgegengesetzten politischen Lager, nämlich zur Französischen Revolution und zum Umsturz auch in Deutschland. Diese Erkenntnis, maßgeblich gefördert seit den 1960er Jahren durch die Forschungen von Pierre Bertaux, und vor allem die faszinierende Deutung der Verschlüsselungen und Symbolgehalte in Hölderlins Dichtung, dazu auch die Bekanntschaft mit dem Spätwerk aus seiner Zeit im Tübinger »Turm« bewirkten unter Komponisten eine geradezu explodierende Beschäftigung mit Hölderlin, und dies auch vielfach außerhalb des deutschen Sprachgebietes. Das Hyperion-Projekt von Bruno Maderna und der Prometeo von Luigi Nono einerseits, der Scardanelli-Zyklus von Heinz Holliger und die Werkfolge Hölderlin lesen von Hans Zender andererseits sind die hervorstechendsten Beispiele aus der kaum noch übersehbaren Menge der musikalischen Annäherungen an Hölderlin. (Wir sprechen hier nicht zufällig


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