- 106 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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damit deutlich an die letzte Stelle. Aus ähnlichen Gründen fällt nun Verdis Nabucco zurück, während Henzes Wir erreichen den Fluß an die zweite Stelle tritt.

Wie schon an den Gesichtern der Teilnehmenden abzulesen war, konnte das Ergebnis kaum befriedigen. Zu eng lagen wenigstens drei Opern beieinander, zu heterogen war die Wahl ausgefallen. Die sich an die Abstimmung anschließende Diskussion brachte vor allem ein Dilemma zum Ausdruck: Will man eine Handlung präsentieren, die unmißverständlich im 20. Jahrhundert spielt, kann man entweder eine Oper wie Henzes Wir erreichen den Fluß präsentieren, deren Musiksprache aber so avantgardistisch ist, daß sie ein größeres Publikum nicht erreichen wird, oder man kann eine Oper wie Menottis Der Konsul spielen, deren Musiksprache eklektizistisch ist und weitgehend nicht dem 20. Jahrhundert angehört. Authentische Musik des 19. Jahrhunderts wie Verdis Nabucco kann die Problematik nur in historischer Symbolik nacherzählen, zudem wirkt ihre Musik, zumal nach Kenntnisnahme von Henzes Tonsprache, reichlich harmlos und kann die Erfahrung von Diktatur kaum angemessen wiedergeben.

Als beständiger Diskussionspunkt im gesamten Verlauf des Seminars erwies sich die Frage, wieviel avantgardistisches Klangmaterial man einem größeren Publikum zumuten dürfe. Die Studierenden hatten die negativen Reaktionen des Opernpublikums in einer Stadt von 150.000 Einwohnern erfahren, als vor kurzem Henzes Englische Katze auf dem Spielplan stand; kurze Zeit vorher konnte man eine ähnliche Ablehnung bei Alban Bergs Wozzeck wahrnehmen – eine Oper, deren Uraufführung immerhin ein Menschenalter zurückliegt.

Um zur hochschuldidaktischen Ebene zurückzukehren, sei hier das Feedback der Studierenden am Ende des Semesters wiedergegeben: Sie äußerten, einen breiten Einblick in das Gebiet der Oper erhalten und dabei kurz und prägnant viele Opern kennengelernt zu haben, was vor allem für den Lehramtsstudiengang wichtig sei. Die behandelten Opern seien in vielen Fällen andere als die bekannten gewesen und weit ab vom Klischee der Oper. Gut, weil besonders intensiv, sei auch die Gruppenarbeitsphase im zweiten Teil des Seminars gewesen, in der man sich mit einem einzigen Werk beschäftigt habe und jeder sich selbständig einbrachte. Die Verschiedenheit der Arbeitsarten wurde hervorgehoben – Kurzreferat, Gruppenarbeit, Plenumsdiskussion – und die Wettbewerbsatmosphäre als anregend empfunden. Insgesamt sei das Seminar ganz anders gewesen als konventionelle Seminare: Man habe sich nicht vorwiegend »berieseln« lassen, sondern in offenen Diskussionen auf den Verlauf des Seminars einwirken können, da kein Plan vorgegeben gewesen sei. Schließlich sei eine Meinung zitiert, die auf viel Zustimmung stieß: »Man hatte tatsächlich das Gefühl, etwas zu verpassen, wenn man nicht anwesend sein konnte.« Bemängelt wurde, daß der ursprüngliche Plan, sich eine oder mehrere Inszenierungen anzusehen, nicht realisiert wurde. Aber das war die Entscheidung des Seminars, da trotz der vielen Möglichkeiten in der Umgebung keine wirklich geeignete Oper auf den Spielplänen zu finden war.


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