Zerfalls der
Ideengeschichte der Moderne entstehen die Infragestellungen der modernen
Genieästhetik, des Werkcharakters eines in sich geschlossenen Gebildes und des Trennens
der E- und U-Musik. Seit den 1950er Jahren ist der Delegimitationsprozess in der Musik
sichtbar. Dazu zählen unter anderem die Programme von John Cage, Minimal Music,
Pop-Art und -Avantgarde etc. Dabei werden die Suche nach einer neuen Auffassung der
Musik einerseits und der Einsatz neuer technischer Mittel andererseits in einen
Zusammenhang gerückt. Neue Technologie und veränderte Musikauffassung stehen
dabei in einem dialektischen Verhältnis: Einerseits führt der Einsatz technischer
Mittel im musikalischen Experiment zu einer veränderten Musikauffassung.
Andererseits dient das musikalische Experiment dazu, die neue Musikauffassung mit
technischen Mitteln umzusetzen. Die Erfindung und Entwicklung der elektronischen
Erzeugung der Musik führen zur Transformation des Musikbegriffs, durch welche die
traditionelle Grenze zwischen E- und U-Musik, der Musikproduktion und Rezeption
etc. aufgelöst wird. Dabei wird die Möglichkeit eröffnet, dass die heterogenen,
inkommensurablen Musikphänomene koexistieren, denen keine legitimierende
Metasprache unterliegt. Diese Tendenz ist in Anlehnung an Lyotard als der
Transformationsprozess der Musik in eine Form der Postmoderne anzusehen, in der
unsere Sensibilität für die Unterschiede und das Inkommensurable verfeinert
wird.11
Lyotard, J. F., Das postmoderne Wissen, Wien: Passagen, 1994, S. 16.
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Betrachtet man jedoch die musikwissenschaftliche Arbeit im Hinblick
auf diese bunte Musikszene der Gegenwart, findet man hauptsächlich
Diskussionen um die Postmoderne als »musikalischen Stilbegriff« im Geiste der
Moderne.12
Die musikwissenschaftliche Debatte um die Postmoderne wird in Kapitel 7 ausführlich
behandelt.
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Die eine ist die Untersuchung der gegenwärtigen Musik innerhalb des Bereichs
der E-Musik in der Historischen Musikwissenschaft, und die andere ist ein
Legitimationsdiskurs der Popmusikforschung gegen die etablierte Historische
Musikwissenschaft, wobei es sich zwar wiederum nur um den einen Pol »U-Musik«
handelt.13
Diese Diskussionen um die Postmoderne als Stilbegriff scheinen dem Begriff der
Postmoderne, die einen Legitimationsdiskurs nicht voraussetzt, zu widersprechen: Die
musikwissenschaftliche Debatte um die Postmoderne beruht nämlich immer noch auf
dem Legitimationsprinzip der Moderne. Dies liegt meines Erachtens in der
Präponderanz der Historischen Musikwissenschaft, die tief in der Tradition
der Musikwissenschaft verwurzelt ist und sich auf den Legitimationsdiskurs
stützt.
Am Ende des 20. Jahrhunderts stellt sich jedoch eine zwei Aspekte umfassende
Tendenz der Delegitimation in der Musikforschung heraus: 1. Im Zusammenhang mit
der Begriffsbestimmung »quid sit musica?« bildete sich seit den 1950ern aus
zunehmendem musikwissenschaftlichen Interesse an der Nicht-Kunstmusik als
Gegenstand der Musikwissenschaft nicht nur die Popmusikforschung, sondern
auch die ethnologische Forschung über die außereuropäischen Musikphänomene
aus.14
Vgl. z. B. Nettl, B., Music in Primitive Culture, Cambridge: Harvard University Press,
1956; Graf, W., Musikethnologie und Vergleichende Musikwissenschaft, 1957, in: Födermayr,
F. (Hrsg.), Vergleichende Musikwissenschaft. Ausgewählte Aufsätze, Wien: Stiglmayr, 1980;
Merriam, A. P., The Anthropology of Music, Evanstown: Northwestern University Press,
1964.
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