1. Einleitung
1.1. Postmoderne – Moderne
Mit dem Titel »Musikwissenschaft in der Postmoderne« stellt die vorliegende Arbeit die
Frage nach einer integrierenden Musikwissenschaft, die verschiedene Musikphänomene in
der Gegenwart als ihre Forschungsgegenstände umfasst. Dabei gilt es zu klären, was
der Terminus »Postmoderne« in Bezug auf die Frage nach einer zeitgemäßen
Musikwissenschaft bedeutet. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass unsere gegenwärtige
Epoche gesellschaftlich, wissenschaftlich und kulturell nicht durch zur Moderne
gehörende Merkmale charakterisiert wird, wie an solchen Begriffen wie dem des
»Spätkapitalismus«,1
Jameson, F., Postmoderne – Zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus, in: Huyssen, A. /
Scherpe, K. R. (Hrsg.), Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels, Reinbek: Rowohlt,
1993, S. 45–102.
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der
»postindustriellen Gesellschaft«,2
Bell, D., Die nachindustrielle Gesellschaft, in: Welsch, W. (Hrsg.), Wege aus der Moderne,
Berlin: Akad. Verlag, 1994, S. 144–152.
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der »Informationsgesellschaft«3
Bundesministerium für Wirtschaft (Hrsg.), Info 2000: Deutschlands Weg in die
Informationsgesellschaft, Bonn, 1996.
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oder der »Konsumgesellschaft«4
Baudrillard, J., La société de consommation, Paris: Denoël, 1970.
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etc. unschwer zu erkennen ist. Die Frage nach einer Musikwissenschaft in der Gegenwart,
die als nicht zur Moderne gehörend zu charakterisieren scheint, setzt wiederum den
Begriff der Moderne voraus. Infolgedessen scheint es an dieser Stelle notwendig zu sein,
sich zunächst mit dem Begriff der Moderne auseinanderzusetzen, um auf den Begriff der
Postmoderne einzugehen.
Der Begriff der Moderne ist nicht eindimensional. So wird er in der Philosophie auf
zweifache Weise verstanden: 1. Als Epochenbegriff bezeichnet er die Neuzeit, die im
17. Jahrhundert eingesetzt hat, oder den Teil der Neuzeit, in dem die moderne
Wissenschaft entstanden ist: d. h. die mit der Aufklärung verbundene Moderne, wobei
die grundlegende Idee der Moderne sich deutlich in den Gedanken der Aufklärung
ausdrückt: Vernunft- und Fortschrittsglaube; 2. Als Lebensart wird »Moderne«
durch Wissenschaft, kapitalistische Ökonomie und Staat charakterisiert. Sehr
bekannt sind außerdem noch gravierende Unterschiede zwischen dem historischen
Konzept der Moderne, die als epochenbildender Begriff mit dem Auftreten
des Bürgertums zu einer Phase der abendländischen Geschichte gehört, und
der Moderne als rein ästhetisch-künstlerischem Konzept, das in der Romantik
geprägt wurde. Im Gegensatz zu der ersten »bürgerlichen Moderne« beinhaltet
die ästhetisch-künstlerische Moderne anti-bürgerliche Positionen: den Bruch
mit bürgerlichen Wertvorstellungen und eine Absage an die bürgerliche
Moderne.5
Calinescu, M., Five Faces of Modernity: Modernism, Avant-garde, Decadence, Kitsch,
Postmodernism, Durham: Duke University Press, 1987, S. 53–54.
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Die Entstehung der Musikwissenschaft und deren Institutionalisierung als
Fachdisziplin sind im Kontext der Moderne zu betrachten: Denn erstens beruhen alle
Erfahrungswissenschaften
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