- 43 -Kietz, Nicola: Musikverstehen und Sprachverstehen 
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innermusikalischer Bezüge und deren Interpretation stehen dann im Vordergrund. Auch der Akt der Interpretation ist notwendigerweise perspektivisch gefärbt: durch die individuelle, soziokulturelle und zeitgeschichtlich geprägte Perspektive
Im weitesten Sinne sind damit auch die äußeren Umstände der Rezeptionssituation gemeint. Der verstehende Umgang mit einer Brahms-Sinfonie ist z.B. im Konzertsaal sicherlich anders als Zuhause während der Hausarbeit.
des Rezipienten, die dem historischen Entstehungskontext des Werkes gegenübersteht. Meiner Ansicht nach - und damit schließe ich mich Gruhns (1989) engem Verstehensbegriff an - ist es sinnvoll, erst in dem Fall von Verstehen zu sprechen, wenn der Hörer sich bewußt auf das Erkennen der kompositorischen Intention ausrichtet und von seinen eigenen ästhetischen Bedürfnissen abstrahiert.

Zusammenfassend möchte ich an Abbildung 14 auf Seite 39 erinnern. Die dort aufgeführten musikalischen Bedeutungsebenen spiegeln die verschiedenen Verstehenszugänge wider. Gruhn ordnet ihnen die in Abb. 15 (S. 42) dargestellten Verstehensebenen zu.
Am Rande sei bemerkt, daß die aufgeführten Verstehenszugänge wertfreie Alternativen darstellen, und daß es keinesfalls besseres oder schlechteres Verstehen gibt, wie dies in der Adornoschen Hörertypologie (1962) zum Ausdruck kommt.
Zu betonen ist auch noch einmal, daß sich kognitive und emotionale Anteile gegenseitig durchdringen können, so daß einerseits eine subjektiv-emotionale Erfahrung Anreiz für eine weiterführende Verstehensbemühung sein kann, andererseits sollte eine kognitive Interpretation der eigenen Gefühle das ästhetische Erlebnis vertiefen, was allerdings zunächst ein Absehen von der eigenen individuellen Gestimmmtheit voraussetzt:

"Das Erlebnis eines Affekts ohne den Vollzug dieses Affekts macht das ästhetische Erlebnis aus." (Gruhn 1989, S. 62)

3.1.2 Die dialektische Konzeption des Verstehens in der Hermeneutik und in der Experimentalpsychologie

Das bisherige Fazit dieses Kapitels besteht darin, daß sich der Wahrnehmende in jeden Verstehensprozeß selbst mit einbringt und so eine Wechselbeziehung mit dem sprachlichen oder musikalischen Text entsteht.


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