- 278 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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sich mit einer starken instinktiven Gestaltung verbände, wenn nicht die Naturgesetze des Schöpferischen mit gleicher Deutlichkeit auch hier zu erkennen wären. Man betrachte den dritten Einsatz des Mannes: wie er aus dem kleinen Variationsspiel des zweiten entwickelt wird, aber die Schwerpunkte des Rhythmischen verlegt, die Grundlinie nicht mehr umspielt, sondern in neuer harmonischer Projektion, mit klarer Beziehung auf den Anfang, und großer melodischer Intensität (“dringender”) ausbaut und die leichtere Achtelbewegung auf den ausschwingenden Teil der Phrase verlegt. Dann weiter ihre Gegenrede: die zur gleichen rhythmischen Gestalt, aber mit entgegengesetzter melodischer Richtungstendenz, gelangt. Das ist alles in höchstem Grade symptomatisch. Man denkt an die Zeiten, in denen Musik noch aus einer Fülle strömte, die, wie in Mozarts “Bandelterzett”, platteste Alltäglichkeiten in Töne umschmolz, aber man denkt vielleicht auch an ein Experiment, wie Philipp Emanuel Bachs Programmtrio, in dem er einen “Dialogus zwischen einem Melancholicus und einem Sanguineus” schildert. Dort stand hinter der Maske des Programms der für die Entwicklung der neuen Instrumentalmusik höchst wesentliche Gedanke, daß man auch mit Instrumenten “reden” könne, wie Philipp Emanuel Bach es an anderer Stelle formulierte.


Die Fragestellung unseres Themas steht hier an einem Ziel. Was in diesen drei Lösungen umspannt wird, ist das Verhältnis des Menschen zur Musik schlechthin. Sie sind nicht Kompositionsversuche von Dilettanten, schlecht nachgeahmte und daher wertlose Teile des Kunstwerks. Sondern sie zeigen, wie ein musikalischer, natürlich empfindender, aber in keiner Weise technisch oder theoretisch belasteter Mensch in Tönen zu denken vermag. Musik ist Ausdruck, Element, Lebenssteigerung. Was in diesen drei :Fällen die Musik tut, kann bei vielen, vielleicht bei den meisten durch ganz andere Kräfte ausgelöst werden. Hier aber war zu zeigen, daß Musik auch dieses vermag und daß der Rundfunk in weitestem Umfang daran beteiligt ist. Wieder möchte man bei diesen letzten Beispielen sagen, daß die betreffenden Menschen ihr Ziel auf keinem andern Weg hätten erreichen können. Auch wenn man die Bedeutung des Einzelfalls nicht überschätzt, auch wenn man sich klarmacht, daß der Kreis von Menschen, die an dieser Stelle getroffen werden, klein bleiben muß: Musikpädagogik im Rundfunk ist menschliches Wachstum, Steigerung aller Lebenskräfte, mit beschränktem Ziel, aber auf breitester Grundlage.


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